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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ihre winzigen Händchen. Wie T-t-tauben. Sie hätte mit ihnen in der Kabine herumfliegen können, hätte sie nicht lieber bei mir gelegen. S-s-spule ihre Gedärme um deine Winde, stopfe ihnen ihre Augen in den eigenen Mund! Entmanne sie, rasiere sie unten kahl, auf daß ihre Mätressen sie nicht wiedererkennen, ihre Buhlen sie rügen, setze sie dem schallenden Gelächter der schallenden Mäuler ihrer H-h-huren aus! Verfahre mit den Schuldigen, wie du willst. Wo war ihr Erbarmen mit den Unschuldigen? Wann bebten, wann weinten sie? Welche Männer könnten tun, was sie getan – Diebe, falsche Freunde, Verräter, schlechte Schiffskameraden, keine Schiffskameraden, Mörder und Entführer. Oh-ohne dich, wo sind ihre Alpträume, wo ihre längst versprochene Sühne? Wo sind ihre Ketten, Fesseln, Handschellen und schweren Holzkragen? Wo sind ihre Abacinationen, die sie blenden? Wo sind ihre Defenestrationen, die ihnen die Knochen brechen, wo ist die Estrapade, die ihnen die Gelenke zermalmt? Wo ist sie, die Geliebte, die ich verloren?«
    Dorcas hatte ein Gänseblümchen für ihr Haar gefunden; als wir aber vor den Mauern umherspazierten (ich in meinen Mantel gehüllt, so daß ein jeder in ein paar Schritten Entfernung glauben mußte, sie gehe ohne Begleitung), schloß sich ihre Blüte im Schlaf, so daß sie statt dessen eine dieser weißen, trichterförmigen Blumen pflückte, die man Mondblume nennt, weil sie im fahlen Mondschein grünlich wirken. Keiner von uns hatte viel zu sagen, bis auf die gegenseitige Versicherung, schrecklich einsam zu sein, wäre der andere nicht bei einem. Unsere engumschlungenen Hände zeugten davon.
    Viktualienhändler kamen und gingen, da die Soldaten sich zum Aufbruch bereiteten. Im Norden und Osten schloß uns die Stadtmauer ein; verglichen mit ihr schien die Mauer, welche die Kasernen und Verwaltungsgebäude umgab, nicht mehr als ein Kinderwerk, ein Sandwall, den man versehentlich niedertreten könnte. Im Süden und Westen erstreckte sich der Blutacker. Wir hörten von dort die Fanfare und die Rufe der neuen Monomachisten, die ihre Widersacher suchten. Beiden von uns graute es wohl eine Weile davor, daß der andere vorschlüge, hinzugehen und den Kämpfen zuzusehen. Keiner tat's.
    Als der letzte Trompetenstoß von der Mauer herübertönte, kehrten wir mit einer geliehenen Kerze in unser fensterloses, feuerloses Kämmerchen zurück. Die Tür hatte kein Schloß, aber wir schoben den Tisch davor und stellten den Kerzenhalter darauf. Ich hatte Dorcas erklärt, sie könne gehen, falls sie wolle, und daß man ihr fürderhin stets nachsagen werde, sie sei das Weib eines Folterers, das sich für blutbeflecktes Geld unter dem Blutgerüst hingebe.
    Sie hatte geantwortet: »Dieses Geld hat mir Kleidung und Nahrung gespendet.« Nun zog sie den braunen Mantel aus (der ihr bis zu den Absätzen reichte – und tiefer, wenn sie nicht aufpaßte, so daß der Saum durch den Staub schleifte) und glättete das grobe, gelbbraune Leinen ihrer Simarre.
    Ich fragte, ob sie Angst habe.
    »Ja«, sagte sie. Dann rasch: »Oh, nicht vor dir.«
    »Wovor dann?« Ich war gerade beim Auskleiden. Wenn sie mich darum gebeten hätte, hätte ich sie die ganze Nacht lang nicht angerührt. Ich wünschte jedoch, daß sie gebeten hätte – ja, gebettelt hätte; denn die Enthaltsamkeit hätte mir mindestens ebensoviel Wonne bereitet wie das Inbesitznehmen, wozu noch die ergötzliche Gewißheit gekommen wäre, daß sie mir in der nächsten Nacht mehr denn je verpflichtet wäre, da ich sie verschont hätte.
    »Vor mir. Vor den Gedanken, die vielleicht wiederkehren, wenn ich abermals bei einem Mann liege.«
    »Abermals? Weißt du von einem früheren Mal?«
    Dorcas schüttelte den Kopf. »Aber ich bin sicher, keine Jungfrau mehr zu sein. Ich habe dich oft begehrt, heute und gestern. Für wen, glaubst du, habe ich mich gewaschen? In der letzten Nacht habe ich deine Hand gehalten, während du geschlafen hast, und geträumt, wir sättigten uns und lägen uns in den Armen. Aber ich kenne sowohl Sättigung als auch Verlangen – also habe ich mindestens einen Mann gekannt. Willst du, daß ich das ausziehe, bevor ich die Kerze lösche?«
    Sie war schlank, hatte hohe Brüste und schmale Hüften und wirkte eigenartig kindlich, obschon ganz Frau. »Du kommst mir so zierlich vor«, sagte ich und drückte sie an mich.
    »Und du bist so stark.«
    Mir wurde klar, daß ich ihr zwangsläufig weh tun mußte in dieser Nacht und jeder folgenden. Ich wurde

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