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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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falls eine Lüge in den Augen des Pancreators je gerechtfertigt ist, dann diese.
    Als ich von ihm ging, war das Orikalkum verschwunden. An seiner Stelle – und zweifellos mit seinem Rand – war ein Bild in den speckigen Stein geritzt. Es hätte eine Jurupari-Fratze oder vielleicht eine Karte sein können und war mit einem Kranz von mir fremden Buchstaben umschlungen. Ich tilgte es mit der Schuhsohle aus.

Die Nacht
    Sie waren ihrer fünf, drei Männer und zwei Frauen. Sie warteten gewissermaßen vor der Tür, standen aber nicht unmittelbar davor, sondern hielten etwa zwei Dutzend Schritte Abstand. Während sie warteten, plauderten sie zu zweit oder dritt, schrien dabei fast, lachten, gestikulierten und stupsten sich leise an. Ich beobachtete sie eine Weile im Dunkeln, wo sie mich nicht sehen konnten oder nicht sahen, war ich doch in meinen rabenschwarzen Mantel gehüllt, während ich mir einredete, ich wüßte nicht, was sie wollten; sie mochten von einem Fest kommen und alle ein wenig angetrunken sein.
    Sie näherten sich gespannt, doch zaudernd, da sie befürchten mußten, eine Abfuhr erteilt zu bekommen, andrerseits aber entschlossen waren, den Vorstoß zu wagen. Einer der Männer war größer als ich, vermutlich der uneheliche Sohn eines Beglückten, um die Fünfzig und fast so fett wie der Wirt der Verlorenen Liebesmüh'. Eine schmächtige etwa Zwanzigjährige, die sich beinahe an ihn rieb, ging neben ihm; sie hatte die hungrigsten Augen, die ich je gesehen hatte. Als der dicke Mann vor mich trat und mir mit seiner Leibesfülle den Weg versperrte, umarmte sie mich fast (aber nur fast), so nahe kam sie mir; ich dachte schon an Zauberei, daß wir uns nicht berührten, denn ihre langfingrigen Hände glitten über das Seitenrevers meines Mantels, als wollte sie mir die Brust streicheln, aber taten es doch nicht ganz, so daß ich glaubte, einem blutsaugenden Gespenst, einem Inkubus oder einer Lamia ausgeliefert zu sein. Die anderen umringten mich und drängten mich gegen die Hausmauer.
    «Morgen ist's soweit, nicht wahr? Was ist das für ein Gefühl?« –
    »Wie heißt du richtig?« – »Er ist ein böser Mensch, gelt? Ein Scheusal?« Keiner wartete eine Antwort ab oder – diesen Eindruck gewann ich – erhoffte sich eine. Ihr Bestreben war es, in meine Nähe zu kommen und ein paar Worte mit mir zu wechseln. »Wirst du ihm zuerst die Glieder brechen? Wird er gebrandmarkt?« – »Hast du je eine Frau hingerichtet?«
    »Ja«, erwiderte ich. »Ja, einmal.«
    Einer der Männer, eine kleine, dünne Gestalt mit hoher, furchiger Denkerstirn, drückte mir einen Asimi in die Hand. »Ich weiß, ihr Burschen kriegt nicht viel, und er ist, wie ich höre, arm – kann dir auch nichts zustecken.« Eine Frau, deren graue Haare lose ins Gesicht hingen, hielt mir auffordernd ein Spitzentüchlein entgegen. »Mach es voll Blut von ihm. Ganz oder nur ein bißchen, wie du willst. Ich zahl' dir nachher was dafür.«
    Die dauerten mich, wie sie mich abstießen: insbesondere einer von ihnen. Er war noch kleiner als derjenige, der mir das Geld gegeben hatte, und grauer als die grauhaarige Frau. In seinen glanzlosen Augen war eine Tollheit zu erkennen, der Schatten einer halb unterdrückten Sorge, die sich im Gefängnis seines Denkens verbraucht hatte, bis aller Eifer verflogen und nur noch die leere Energie davon übriggeblieben war. Offenbar wartete er darauf, daß die übrigen vier schwiegen, da deren Redeschwall aber nie abzubrechen schien, bat ich sie mit einer Geste um Ruhe und fragte ihn, was er wolle.
    »M-m-meister, als ich auf der Quasar war, hatte ich eine Paracoita, eine Puppe, weißt du, ein Genicon so schön, so wunderschön. Ihre großen Pupillen waren dunkel wie ein Brunnen, die I-iris so violett wie Astern oder Stiefmütterchen im Sommer, Meister; ganze Beete, dachte ich, hätte man zur Herstellung dieser Augen g-gesammelt. Und ihre Haut, immer so warm wie von der Sonne beschienen!
    W-w-wo ist sie jetzt, meine Scopolagna, mein Püppchen? Haken mögen die H-h-hände derer zerfleischen, die sie mir wegnahmen! Zermalme sie, Meister, unter Steinen! Wohin verschwand sie aus der Limonenholzkiste, die ich für sie gemacht hatte, worin sie nie schlief, da sie die ganze Nacht bei mir lag, und nicht in der Kiste, der Limonenholzkiste, worin sie den ganzen Tag wartete und – höre und staune, Meister! – lächelte; lächelte, wenn ich sie hineinlegte, damit sie lächle, wenn ich sie herausnahm. Wie weich ihre Händchen waren,

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