Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
träume nie.«
    Talos warf mir kopfschüttelnd einen Blick zu, als wollte er sagen: Wie ungesund!
    »Ich geb' dir ein paar von meinen. Severian sagt, er habe selbst genug.«
    Obschon er offenbar ganz wach war, starrte Baldanders sie an. »Wer bist du?«
    »Ich bin ...« Dorcas warf mir einen ängstlichen Blick zu.
    »Dorcas«, sagte ich.
    »Ja, Dorcas. Erinnerst du dich nicht? Wir trafen uns gestern abend hinter dem Vorhang. Du ... dein Freund hat uns einander vorgestellt und gesagt, ich brauchte vor dir keine Furcht zu haben, weil deine Gewalttätigkeiten nur gespielt seien. Bei der Aufführung. Ich antwortete, das sei mir verständlich, weil Severian schlimme Dinge tue, aber eigentlich so gutmütig sei.« Wieder sah Dorcas mich an. »Du erinnerst dich doch, Severian?«
    »Natürlich. Du brauchst keine Angst vor Baldanders zu haben, nur weil er es vergessen hat. Er ist groß, ich weiß, aber seine Größe ist wie mein rußschwarzer Mantel – läßt ihn schlimmer aussehen, als er ist.«
    Baldanders sagte zu Dorcas: »Du hast ein großartiges Gedächtnis. Ich wünschte, ich könnte mir auch alles so gut merken.« Seine Stimme klang wie schwere, rollende Steine.
    Während unseres Gesprächs hatte Dr. Talos die Geldkassette hervorgeholt. Er rasselte damit, um uns zu unterbrechen. »Kommt Freunde, ich habe euch eine gerechte Verteilung der Einnahmen aus unserer Vorführung versprochen. Ist dies getan, wird es Zeit zum Aufbrechen. Dreh dich um, Baldanders, und leg die Hände offen in den Schoß! Wenn die übrigen Herrschaften sich auch um mich versammeln wollten ...«
    Als der Doktor vorhin vom Aufteilen der Erträge des Vorabends gesprochen hatte, war mir natürlich nicht entgangen, daß von Vierteln die Rede war; ich hatte allerdings angenommen, derjenige, der leer ausginge wäre Baldanders, sein Sklave, wie es schien. Nach einigem Herumwühlen in der Kassette legte Dr. Talos jedoch nun einen glänzenden Asimi in die Hand des Riesen; einen zweiten erhielt ich, einen dritten Dorcas und eine Handvoll Orikalken Jolenta. Dann verteilte er einzeln die restlichen Orikalken. »Wie ihr seht, ist alles bis jetzt bares Geld«, sagte er. »Leider muß ich euch mitteilen, daß in meiner Kasse auch eine ganze Reihe dubioser Münzen stecken, die aufzuteilen sind, wenn die gängigen alle sind.«
    Jolenta fragte: »Hast du dir deinen Anteil schon genommen, Doktor? Du hättest warten sollen, bis wir alle da sind, meine ich.«
    Dr. Talos' Hände, die beim Geldauszählen emsig zwischen uns hin- und hergewandert waren, hielten kurz inne. »Ich will davon nichts«, antwortete er.
    Dorcas blickte mich an, als wollte sie ihre Meinung bestätigt sehen, und flüsterte: »Das ist doch nicht gerecht.«
    Ich sagte: »Das ist nicht gerecht. Doktor, du hast in der gestrigen Aufführung genauso mitgewirkt wie ein jeder von uns und das Geld eingesammelt. Wie ich annehme, hast du auch das Theater und die Requisiten gestellt. Wenn schon, dann solltest du einen doppelten Anteil erhalten.«
    »Ich will nichts«, entgegnete Dr. Talos langsam. Er wurde zum erstenmal, seitdem ich ihn kannte, verlegen. »Es ist mir ein Vergnügen, die Truppe, wie ich sie nun wohl nennen darf, zu leiten. Ich habe das Stück, das wir aufführen, geschrieben, und wie ...« (er sah sich um, als suchte er nach einem Vergleich) »... diese Rüstung dort spiele ich meine Rolle. All das ist mir ein Vergnügen und der ganze Lohn, den ich mir wünsche.
    So, Freunde, wie ihr seht, sind wir jetzt bei einzelnen Orikalken angelangt, die leider nicht ausreichen, den Kreis noch einmal zu schließen. Genau gesagt, haben wir noch zwei. Wer will, bekommt sie, wenn er auf die Aes und die dubiosen Geldstücke verzichtet. Severian? Jolenta?«
    Zu meiner Überraschung verkündete Dorcas: »Ich nehm' sie.«
    »Sehr gut. Ich will mich nicht erdreisten, sie nach ihrem Wert zu schätzen, sondern sie einfach austeilen. Ich warne euch, die ihr sie bekommt, allerdings, beim Weitergeben auf der Hut zu sein. So etwas steht unter Strafe, außerhalb der Stadtmauer jedoch ... Was ist das?«
    Ich folgte der Richtung seiner Augen und bemerkte einen Mann in schäbiger, grauer Kleidung, der auf uns zuhielt.

Hethor
    Ich weiß nicht, warum es demütigend sein soll, einen Fremden auf dem Boden sitzend zu empfangen, aber es ist so. Beide Frauen erhoben sich, als die graue Gestalt näherkam, und ich folgte ihrem Beispiel. Sogar Baldanders stand schwerfällig auf, so daß nur noch Dr. Talos, der sich wieder auf

Weitere Kostenlose Bücher