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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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will nur zurück, wohin ich gehöre, zum Matachin-Turm, ohne wieder dort hinunter zu müssen.«
    »Du bist sehr mutig. Ich habe dieses Loch schon als kleines Mädchen entdeckt, aber mich nie hineingetraut.«
    »Ich würde gern hineingehen«, sagte ich. »Ich meine, hier hinein.«
    Sie öffnete die Tür, aus der sie gekommen war, und führte mich in ein gobelingeschmücktes Zimmer, wo steife, antike Stühle so unverrückbar fest an ihren Plätzen standen wie die Statuen im frostigen Hof. Ein Feuerchen rauchte im Kamin an der Wand. Wir gingen zu ihm hin, und während sie den Mantel ablegte, streckte ich die Hände zur Glut aus.
    »War es nicht kalt in den Stollen?«
    »Nicht so kalt wie draußen. Außerdem bin ich gerannt, und es hat kein Wind geweht.«
    »Aha. Seltsam nur, daß sie zum Atrium der Zeit heraufführen.« Sie sah jünger als ich aus, aber in ihrem mit Metall eingefaßten Gewand und dem Gebilde ihres schwarzen Haars lag ein antiquierter Zug, der sie älter als Meister Palaemon, welcher vergangenen Zeiten nachhing, wirken ließ.
    »So heißt es? Das Atrium der Zeit? Wohl wegen der Zifferblätter.«
    »Nein, die Uhr wurde dort errichtet, weil es so heißt. Magst du die toten Sprachen? Es gibt darin Sinnsprüche. ›Lux dei vitae viam monstrat‹, das heißt: ›Der Strahl der neuen Sonne erleuchtet den Lebensweg.‹ ›Felicibus brevis, miseris hora longa. ›Lange warten die Menschen aufs Glück.‹ ›Aspice ut aspiciar.‹«
    Ich mußte ihr etwas beschämt gestehen, daß ich keiner fremden Zunge mächtig sei, und der eigenen nur in Maßen.
    Bevor ich ging, unterhielten wir uns eine Wache oder länger. Ihre Familie bewohnte diese Türme. Sie hatte zuerst darauf gewartet, mit dem Autarchen ihrer Ära die Urth verlassen zu können, nur um weiter zu warten, weil außer Warten nichts mehr anderes übrigblieb. Sie hatte viele Kastellane der Zitadelle gestellt, doch der letzte davon war schon vor Generationen gestorben. Nun war sie arm, und ihre Türme waren baufällig. Valeria hatte noch nie eines der höhergelegenen Geschosse betreten.
    »Einige Türme sind gediegener als andere«, sagte ich. »Auch der Hexenturm ist innen eine halbe Ruine.«
    »Gibt es einen solchen tatsächlich? Meine Amme erzählte mir davon, als ich klein war (um mir Angst zu machen), aber ich hielt es für eine Lügengeschichte. Angeblich existiert auch ein Folterturm; jeder, der über seine Schwelle tritt, stirbt unter schwerer Pein.«
    Zumindest das, so versicherte ich ihr, sei ein Märchen.
    »Die großen Tage dieser Türme scheinen mir märchenhafter«, entgegnete sie. »Keiner von meinem Geschlecht führt nun ein Schwert gegen die Feinde der Republik oder erbietet sich als Geißel am Orchideenborn.«
    »Vielleicht wird eine deiner Schwestern bald dazu aufgerufen«, sagte ich, weil ich aus irgendeinem Grund nicht gewollt hätte, daß sie selbst ginge.
    »Ich bin alle Schwestern, die wir gezeugt«, antwortete sie. »Und alle Söhne.«
    Ein greiser Diener brachte uns Tee und kleines, mürbes Gebäck.
    Keinen echten Tee, sondern Mate aus dem Norden, den wir manchmal unseren Klienten vorsetzen, weil er so billig ist. Valeria lächelte. »Du siehst, hier ergeht es dir wohl. Du grämst dich über deinen armen Hund, weil er lahm ist. Aber vielleicht hat auch er freundliche Aufnahme gefunden. Du liebst ihn, also liebt ihn vielleicht auch ein anderer.«.
    Ihr beipflichtend, habe ich mir insgeheim vorgenommen, daß ich keinen anderen Hund mehr wolle, was sich bewahrheitet hat.
    Triskele sah ich fast eine Woche lang nicht wieder. Als ich dann eines Tages einen Brief ins Außenwerk trug, kam er angehüpft. Er hatte gelernt, mit der einen Vorderpfote zu gehen wie ein Akrobat, der auf einer goldenen Kugel Handstände macht.
    Hiernach sah ich ihn im Monat ein- oder zweimal, so lange der Schnee lag. Ich erfuhr nie, wer ihn gefunden hatte, wer ihn fütterte und für ihn sorgte; aber ich stelle mir gern vor, daß es jemand gewesen ist, der ihn mit sich genommen hat, vielleicht nach Norden zu den Zeltstädten und Feldzügen im Gebirge.

Der Bilderreiniger und andere
    Das Fest der Heiligen Katharina ist der höchste Feiertag unserer Zunft, an dem wir an unser Erbe gemahnt, die Gesellen (falls überhaupt) Meister und die Lehrlinge Gesellen werden. Ich verschiebe die Beschreibung dieser Zeremonie, bis ich Gelegenheit haben werde, euch von meiner eigenen Erhebung zu berichten; aber in dem Jahr, von dem ich erzähle, dem Jahr des Kampfs am Grabesrand, wurden

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