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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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sonst hätten wir ihn nicht hier. Doch schon an seinem Geburtstag ist er ein besserer Zeichner gewesen als die Stümper und Kleckser, nach denen man heute ganz wild ist. Wir erhalten, was das Haus Absolut nicht mehr haben will. Treffen vom langen Hängen verdreckt hier ein, und ich mach' sie wieder sauber. Manchmal reinige ich sie ein zweites Mal, nachdem sie hier eine Weile gehangen haben. Wir haben hier einen Fechin. Wirklich! Oder schau dir das dort an. Gefällt's dir?«
    Weil offenbar nichts dagegensprach, bejahte ich.
    »Ist zum dritten Mal dran. Als es gerade eingetroffen war, war ich der Lehrling des alten Branwallader, der mich das Reinigen lehrte. Er benutzte dazu dieses, weil er es für wertlos hielt. Er begann hier unten in der Ecke. Nachdem er eine etwa handtellergroße Fläche sauber gemacht hatte, übergab er es mir, und ich machte es fertig. Als meine Frau noch lebte, da reinigte ich es noch einmal. Das war wohl nach der Geburt unserer zweiten Tochter. Damals war es noch gar nicht so schwarz, aber weil mich etwas bedrückte, wollte ich etwas zu tun haben. Heute ließ ich es mir einfallen, es noch einmal zu reinigen. Und wie es das nötig hat – siehst du, wie hübsch hell es wird? Nun haben wir wieder eine blaue Urth über seiner Schulter, frisch wie der Fisch des Autarchen.«
    Die ganze Zeit hallte der Name Vodalus durch meinen Kopf.
    Sicherlich war der Greis nur deswegen von seiner Leiter gestiegen, weil ich ihn erwähnt hatte, und ich wollte ihn darüber ausfragen. Aber so sehr ich's auch versuchte, mir fiel nichts ein, das Gespräch wieder darauf zu lenken. Als ich ein bißchen zu lange geschwiegen hatte und befürchten mußte, daß er gleich wieder seine Leiter bestiege und an die Putzarbeit ginge, glückte mir die Frage: »Ist das der Mond? Mir wurde beigebracht, er wäre fruchtbarer.«
    »Aber ja doch. Es wurde vor der Bewässerung gemacht. Siehst du dieses Graubraun? Das hättest du zu jener Zeit gesehen, wenn du zu ihm aufgeblickt hättest. Kein Grün wie heutzutage. Wirkte auch nicht so groß, weil er nicht so nahe war – wie der alte Branwallader immer sagte. Nun hat er genügend Bäume, um sozusagen den Nilammon zu verstecken.«
    Ich ergriff die Gelegenheit. »Oder Vodalus.«
    Rudesind lachte gackernd. »Oder ihn, stimmt schon. Ihr Burschen reibt euch bestimmt bereits die Hände. Habt ihr etwas Besonderes mit ihm vor, wenn ihr ihn bekommt?«
    Ob die Zunft spezielle Martern für gewisse Leute vorsah, wußte ich nicht; aber ich war bestrebt, einen aufgeweckten Eindruck zu machen und sagte: »Wir lassen uns etwas einfallen.«
    »Zweifellos. Obschon, vor einer Weile glaubte ich, du wärst für ihn. Freilich müßt ihr euch noch gedulden, wenn er sich in den Wäldern Lunas verbirgt.« Rudesind blickte mit offensichtlicher Wertschätzung hinauf zu dem Bild, bevor er sich wieder mir zuwandte. »Ich habe vergessen, daß du unseren Meister Ultan aufsuchen willst. Geh zurück zu dem Gewölbe, an dem du gerade vorbeigekommen bist .'..«
    »Ich kenne den Weg«, erwiderte ich. »Der Waffenträger hat ihn mir gesagt.«
    Der alte Kurator blies dessen Weisungen sauer prustend in den Wind. »Der Weg, den er dir wies, brächte dich nur in den Lesesaal. Von dort brauchtest du eine ganze Wache, um zu Ultan zu gelangen – falls überhaupt. Nein, geh zurück zu diesem Portal, durch es hindurch, weiter bis zum Ende des großen Raumes und die Treppe hinunter. Dort findest du eine verschlossene Tür – klopfe, bis dir jemand öffnet. Es ist das unterste Magazin, wo Ultan sein Arbeitszimmer hat.«
    Da Rudesind mir nachblickte, folgte ich seiner Weisung, obwohl mir das mit der verschlossenen Tür nicht behagte und ich argwöhnte, die hinabzusteigende Treppe würde mich in die Nähe jener alten Stollen führen, die ich auf der Suche nach Triskele durchwandert hatte.
    Insgesamt fühlte ich mich viel unsicherer, als in mir vertrauten Teilen der Zitadelle. Ich habe inzwischen festgestellt, daß ihre Größe fremde Besucher in Erstaunen versetzt; freilich ist sie nicht mehr als ein Staubkorn innerhalb der sie umgebenden Stadt, und wir, die wir hinter ihrer grauen Ringmauer aufwachsen und die Namen und Ortsverhältnisse der etwa hundert notwendigen Bezugspunkte, die dem Kenner das Zurechtfinden ermöglichen, gelernt haben, werden durch eben diese Ortskenntnisse verwirrt, wenn wir uns außerhalb der heimatlichen Gefilde aufhalten.
    So erging es auch mir, als ich durch das Portal schritt, das der Greis mir gezeigt hatte.

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