Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
Vom Netzwerk:
Treppe zu den Zellentrakten Wache stand. Meine erste Idee war, ihn in einen Korb zu stecken, worin wir die saubere Bettwäsche der Klienten hinuntertrugen. Weil Waschtag war, wäre es doch einfach gewesen, einen zusätzlichen Gang zu machen; daß dem wachhabenden Gesellen etwas auffiele, schien ausgeschlossen. Allerdings hätte ich länger als eine Wache warten müssen, bis das geschrubbte Leinen wieder trocken wäre, und liefe Gefahr, daß der Posten im dritten Trakt mir Fragen stellen würde, wenn er mich in den vierten hinabsteigen sähe.
    Statt dessen legte ich den Hund in den Vernehmungssaal – er konnte sich nicht bewegen, so geschwächt war er – und erbot mich, den Wächter am oberen Ende der Rampe abzulösen. Dieser war recht froh über die Gelegenheit, sich zu erleichtern, und reichte mir sein breitschneidiges Henkersschwert (das ich theoretisch nicht hätte anfassen dürfen) und seinen schwarzen Mantel (den zu tragen, mir verboten war, obschon ich bereits die meisten Gesellen an Körpergröße übertraf), so daß es von weitem nicht auffiele, daß ein Tausch stattgefunden habe. Ich legte den Mantel um, stellte das Schwert, sobald er verschwunden war, in eine Ecke und holte meinen Hund. Von den stets voluminösen Mänteln unserer Zunft war dieser wegen der Leibesfülle des ersetzten Bruders besonders weit geschnitten. Ferner hat seine Farbe, die dunkler als Schwarz ist, den hübschen Vorzug, alle Falten, Bäusche und Kräuseln zu glätten, soweit es das Augen betrifft, dem es sich als zeichnungsfreies Dunkel darstellt. Mit übergezogener Kapuze mußte ich den Gesellen an den Tischen in den Trakten (falls sie überhaupt zur Treppe blickten und mich sahen) vorkommen wie ein gewöhnlicher, wenn auch beleibterer Bruder auf dem Weg in die unteren Geschosse. Selbst der Wachhabende im dritten, wo die Klienten, die den Verstand verloren hatten, brüllten und mit ihren Ketten rasselten, konnte nichts dabei finden, daß ein Mitbruder in das vierte hinabstieg, ging doch das Gerücht, es solle wieder in Gebrauch genommen werden – oder daß ein Lehrling hinabeilte, kurz nachdem der Geselle wieder heraufgekommen war: sicherlich hatte er dort etwas vergessen und den Lehrling zum Holen geschickt.
    Es war kein anziehender Ort. Etwa die Hälfte der alten Lampen brannte noch, aber Schlamm war in die Gänge eingesickert und bedeckte sie fingerdick. Ein Wärterpult stand dort, wo es vielleicht vor zweihundert Jahren zurückgelassen worden war; das Holz war morsch, und das ganze Gestell fiel bei der kleinsten Berührung in sich zusammen.
    Dennoch war das Wasser hier nie hoch gewesen, und der hintere Teil des Korridors, den ich entlangschritt, war sogar schlammfrei. Ich legte meinen Hund auf ein Klientenbett und säuberte ihn, so gut ich konnte, mit Schwämmen, die ich aus dem Vernehmungssaal mit heruntergebracht hatte.
    Unter dem verkrusteten Blut war das lohfarbene Fell kurz und starr. Der Schwanz war ihm so kurz abgeschnitten worden, daß der verbleibende Zipfel breiter als lang war. Die Ohren hatte man ihm fast völlig abgetrennt, so daß die noch vorhandenen, starren Stummel kürzer als mein erstes Daumenglied waren. Im Todeskampf war ihm die Brust geöffnet worden. Ich konnte die breiten Muskelbänder sehen, schlafende Schlangen in Rosa. Sein rechtes Vorderbein fehlte – die obere Hälfte war völlig zerquetscht. Ich amputierte sie, nachdem ich den Brustkorb bestmöglich vernäht hatte, und sie blutete wieder. Ich suchte die Arterie und band sie ab, woraufhin ich die Hautlappen einschlug (wie Meister Palaemon uns gelehrt hatte), um einen ordentlichen Stumpf zu bekommen.
    Triskele leckte mir beim Arbeiten hin und wieder die Hand, und als ich den letzten Stich gemacht hatte, leckte er diesen, als wäre er ein Bär und könnte sich ein neues Bein zurechtlecken. Sein Kiefer war breit wie der eines Wolfs, und die Eckzähne hatten die Länge meines Zeigefingers, aber das Zahnfleisch war weiß; es lag nicht mehr Kraft in diesen Kiefern als in einer Skeletthand. Die Augen waren gelb und von einer gewissen offenen Tollheit geprägt.
    An diesem Abend tauschte ich die Arbeit mit dem Knaben, der den Klienten ihr Mahl bringen sollte. Es blieben immer einige Tabletts übrig, weil ein paar Klienten nichts essen wollten, und nun trug ich zwei davon hinunter zu Triskele, wobei ich mich fragte, ob er noch am Leben sei.
    Er war's. Irgendwie war er aus dem Bett geklettert, in das ich ihn gelegt hatte, und zum Rand des Schlamms, wo sich

Weitere Kostenlose Bücher