Der Schatten des Folterers
Meister Gurloes' Studierstube. Er war nicht da, was ich gehofft hatte; unter den Papieren auf seinem Tisch fand ich, was ich unerklärlicherweise dort vermutet hatte: den Befehl zu Theclas Folterung.
Ich konnte daraufhin nicht schlafen. So suchte ich (zum letzten Mal, obwohl ich das noch nicht ahnte) das Grab auf, in dem ich als Knabe gespielt hatte. Das bronzene Totenbild des alten Beglückten war stumpf und bedurfte einer Reinigung, und ein paar Blätter mehr waren durch die halboffene Tür hereingefallen; ansonsten war es unverändert. Ich hatte Thecla einmal von diesem Ort erzählt und stellte mir nun vor, sie wäre bei mir. Sie sei durch meine Hilfe entflohen, und ich verspräche ihr, sie würde hier nicht gefunden werden, ich brächte ihr zu Essen und würde ihr, sobald die Jagd auf sie abgeklungen wäre, zu einer sicheren Überfahrt auf einer Handelsdhau verhelfen, womit sie unbemerkt über den gewundenen Gyoll ins Delta und ins Meer entkommen könnte.
Wäre ich so ein Held wie in den Romanzen, die wir zusammen gelesen hatten, gewesen, hätte ich sie noch an diesem Abend befreit, indem ich die wachhabenden Brüder überwältigt oder mit einer Droge betäubt hätte. Ich war's nicht, und ich besaß keine Drogen und keine gewaltigere Waffe als ein aus der Küche entwendetes Messer.
Und wenn ich die Wahrheit sprechen soll, so stand zwischen meinem innersten Wesen und dem tollkühnen Streich das Wort, das ich an diesem Morgen vernommen hatte – dem Morgen nach meiner Erhöhung. Die Chatelaine Thecla hatte gesagt, ich sei ein »ganz netter Junge«, und ein schon reifer Teil von mir wußte, daß ich, selbst wenn mein aussichtsloses Vorhaben gelänge, immer nur ein ganz netter Junge bliebe. Damals schien mir das von Bedeutung.
Am nächsten Morgen hieß mich Meister Gurloes, ihm bei der Marterung zu assistieren. Roche begleitete uns.
Ich schloß ihre Zelle auf. Sie verstand zuerst nicht, wozu wir gekommen waren, und fragte mich, ob Besuch für sie da sei oder ob sie entlassen werde.
Als wir unser Ziel erreichten, ahnte sie es inzwischen. Viele fallen dann in Ohnmacht, sie jedoch nicht. Höflich erkundigte sich Meister Gurloes, ob sie eine Erklärung zu den verschiedenen Vorrichtungen wünsche.
»Meinst du diejenigen, die zum Einsatz kommen werden?« Ihre Stimme war nicht ohne Bangen, wenn auch einem kaum merklichen.
»Nein, nein, das würde ich nicht tun. Nur zu den wunderlichen Geräten, die Ihr beim Vorübergehen sehen werdet. Einige sind sehr alt, und die meisten werden fast nie verwendet.«
Thecla blickte sich um, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. Der Vernehmungssaal – unsere Arbeitsstätte – ist nicht in Zellen unterteilt, sondern ein großer Raum, mit säulenförmigen Röhren altertümlicher Folterwerkzeuge und Instrumenten unseres Mysteriums vollgestopft.
»Das bei mir zur Anwendung kommt – ist das auch alt?«
»Das heiligste von allen«, entgegnete Meister Gurloes. Er wartete eine Antwort ab, aber als sie nichts erwiderte, führte er seine Beschreibungen fort. »Der Drache ist Euch bestimmt geläufig – jedermann kennt ihn. Dahinter ... wenn Ihr einen Schritt hierher gehen wollt, könnt Ihr ihn besser sehen ... steht der sogenannte ›Apparat‹. Er soll die verschiedensten Sprüche in das Fleisch eines Klienten prägen, funktioniert aber selten. Wie ich sehe, betrachtet Ihr diesen alten Pfahl. Er ist nicht mehr, als er scheint, lediglich ein Pfosten zum Ruhigstellen der Hände, daneben eine Geißel mit dreizehn Riemen zur Züchtigung. Er war früher im Alten Hof aufgestellt, aber die Hexen beschwerten sich darüber, und der Kastellan ordnete an, ihn nach hier unten zu versetzen. Das war vor etwa hundert Jahren.«
»Wer sind die Hexen?«
»Leider fehlt uns die Zeit, darauf einzugehen. Severian kann es Euch sagen, wenn Ihr wieder in der Zelle seid.«
Sie blickte mich an, als wollte sie sagen: »Komme ich wirklich wieder zurück?«, und ich nützte meine günstige Position an der Seite gegenüber von Meister Gurloes, ihre eiskalte Hand zu ergreifen.
»Dahinter ...«
»Halt! Kann ich wählen? Kann ich euch irgendwie dazu bewegen ... für das eine etwas anderes zu machen?« Ihre Stimme war noch tapfer, aber schon schwächer.
Gurloes schüttelte den Kopf. »Wir haben dabei nichts zu sagen, Chatelaine, und Ihr auch nicht. Wir vollstrecken die Urteile, die wir erhalten, tun weder mehr, als uns aufgetragen, noch weniger und ändern nichts.« Er räusperte sich verlegen. »Das nächste ist
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