Der Schatten des Folterers
bestimmt interessant. Wir nennen es Allowins Halsband. Der Klient wird auf diesem Stuhl festgeschnallt und das Kissen an seinem Brustbein befestigt. Mit jedem Atemzug spannt sich die Kette mehr, so daß er immer weniger Luft bekommt, je mehr er schnauft. Theoretisch könnte das endlos so weitergehen, bis das Atmen sehr flach und die Schnürung minimal verstärkt wird.«
»Wie schrecklich. Was ist das dahinter? Dieses Drahtgewirr und diese große Glaskugel über dem Tisch?«
»Ah«, erläuterte Meister Gurloes. »Das nennen wir Revolutionär. Man legt sich hierhin. Wollt Ihr so nett sein, Chatelaine?«
Eine ganze Weile lang hielt Thecla inne. Sie war größer als wir alle, aber angesichts der entsetzlichen Angst in ihrer Miene war ihr hoher Wuchs nicht mehr beeindruckend.
»Wenn nicht«, fuhr Meister Gurloes fort, »werden unsere Gesellen es gewaltsam tun müssen. Das wollt Ihr doch nicht, Chatelaine.«
Thecla flüsterte: »Ich dachte, du wolltest mir alles zeigen.«
»Nur bis hierher, Chatelaine. Es ist besser, wenn der Klient abgelenkt ist. Nun legt Euch bitte hin! Ich werde Euch kein zweites Mal auffordern.«
Sofort nahm sie den Platz ein, flink und grazil wie in ihrer Zelle, wenn sie sich auf ihrem Bett ausstreckte. Die Riemen, mit denen Roche und ich sie festschnallten, waren so alt und brüchig, daß ich Bedenken hatte, ob sie denn auch hielten.
Kabel mußten von einem Winkel des Vernehmungssaales in einen anderen ausgerollt werden, Regelwiderstände und Magnetverstärker waren einzustellen. Altertümliche Lampen glühten wie blutrote Augen am uralten Armaturenbrett auf, und ein Summen wie das Gezirpe eines Rieseninsekts erfüllte den ganzen Raum. Für ein paar Sekunden lebte die alte Maschine des Turms wieder auf. Ein Kabel war locker, und Funken, so blau wie brennender Kognak, sprühten aus dem bronzenen Paßstück.
»Der Blitz«, sagte Meister Gurloes, als er das lockere Kabel feststeckte. »Es gibt noch ein anderes Wort, aber ich hab's vergessen. Jedenfalls arbeitet der Revolutionär mit der Kraft des Blitzes. Es ist natürlich nicht wie ein Blitzschlag, Chatelaine. Aber der Blitz, der treibt ihn an.
Severian, schiebe den Schalter hoch, bis die Nadel dort steht.« Eine Wicklung, die kalt wie eine Schlange gewesen war, als ich sie vorher berührt hatte, war nun warm.
»Was geschieht nun mit mir?«
»Ich kann's unmöglich beschreiben, Chatelaine. Ich hab's ja auch noch nicht an mir erlebt, nicht wahr?« Gurloes drückte einen Knopf auf dem Armaturenbrett, und Thecla wurde in weißes Licht getaucht, das allem, worauf es fiel, die Farbe nahm. Sie schrie; ich habe mein Leben lang Schreie gehört, aber das war der schlimmste, wenn auch nicht der lauteste; er gellte schier endlos wie ein kreischendes Wagenrad.
Sie war nicht ohnmächtig, als das weiße Licht erlosch. Ihre geöffneten Augen starrten nach oben; aber offenbar sah sie meine Hand nicht und spürte nichts, als ich sie berührte. Ihr Atem ging flach und rasch.
Roche fragte: »Sollen wir warten, bis sie gehen kann?« Ich sah ihm an, daß er dabei dachte, wie mißlich es wäre, eine so große Frau zu tragen.
»Fort mit ihr!« befahl Meister Gurloes. Wir machten uns ans Werk. Als ich meine übrigen Arbeiten erledigt hatte, suchte ich sie in ihrer Zelle auf. Sie war wieder bei vollem Bewußtsein, obschon sie noch nicht aufstehen konnte. »Ich sollte dich hassen«, sagte sie.
Ich mußte mich über sie beugen, um sie zu verstehen. »Schon gut«, antwortete ich.
»Aber ich tu's nicht. Nicht deinetwegen ... wenn ich meinen letzten Freund haßte, was bliebe mir denn dann noch?«
Dem war nichts hinzuzufügen, also schwieg ich.
»Weißt du, wie es gewesen ist? Es dauerte lange, bis ich mich erinnern konnte.«
Ihre rechte Hand schob sich langsam zu den Augen hinauf. Ich ergriff sie und legte sie zurück.
»Mir war, als hätte ich meinen schlimmsten Feind gesehen, eine Art Dämon. Mich.«
Sie blutete aus der Kopfhaut. Ich legte frisches Linnen und heftete es mit Pflaster fest, obschon ich wußte, daß es nicht lange halten würde. Dunkle Haarlocken klebten an ihren Fingern.
»Seither habe ich keine Kontrolle mehr über meine Hände. Ich kann sie nur lenken, wenn ich mich konzentriere und weiß, was sie tun. Aber es ist so anstrengend und macht mich müde.« Sie rollte den Kopf zur Seite und spuckte Blut. »Ich habe mich gebissen. Habe mir die Backen, die Zunge und die Lippen zerbissen. Einmal legten sich meine Hände würgend um meinen Hals, und
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