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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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schien mir in diesem Augenblick schrecklicher als der drohende Tod. Kurzentschlossen tauchte ich mitsamt den Stiefeln und kämpfte mich durch das dunkelbraune Naß, dieser eingedickten Brühe aus Wasser und faserigem Riedgrasgeflecht. Die Segge, die zwar die Gefahr des Ertrinkens um ein Vielfaches erhöhte, rettete mein Terminus Est, das trotz dem bißchen Luft in der Scheide ungleich schneller als ich zum Grund gelangt und dort im Schlamm versunken wäre, hätten die Stengel seinen Fall nicht gehemmt. So begegnete in acht oder zehn Ellen Tiefe meine wie wild um sich greifende Hand seinem teuren, vertrauten Heft aus Onyx.
    Im gleichen Moment berührte meine zweite Hand ein Ding ganz anderer Art. Es war eine Menschenhand, und ihr Griff (denn als ich sie berührte, packte sie die meinige) fiel so exakt mit dem Wiederauffinden meines Terminus Est zusammen, daß mir war, als gäbe mir der Besitzer der Hand mein Eigentum zurück, wie die hochgewachsene Herrin der Pelerinen. Es überkam mich wahnsinnige Dankbarkeit, dann kehrte die zehnfache Angst zurück: die Hand zerrte an der meinigen, zog mich hinab.

Hildegrin
    Aus Leibeskräften – den bestimmt allerletzten, die ich aufbieten konnte hatte ich Terminus Est auf den schwabbeligen Riedsteg zu werfen und mich am struppigen Rand festzuklammern vermocht, ehe ich wieder unterging.
    Jemand packte mich am Handgelenk. Agia erwartend, blickte ich empor; es war nicht sie, sondern eine noch jüngere Frau mit wehenden goldgelben Haaren. Ich würgte ein Wort des Dankes hervor, doch statt Silben ergoß sich nur Wasser aus meinem Mund. Sie zerrte, und ich zappelte, und schließlich kam ich in voller Länge auf der Segge zu liegen: so matt, daß ich zu nichts mehr imstande war.
    Mindestens einen Angelus lang und wahrscheinlich länger mußte ich dort gelegen haben. Ich spürte Kälte, die immer schlimmer wurde, und das Absacken des fauligen Pflanzengeflechts, das unter meinem Gewicht nachgab, bis ich wieder halb untergetaucht war. Ich atmete in tiefen Zügen, die meinen Lungen dennoch nicht genügten, und hustete Wasser; Wasser rann mir auch aus der Nase. Jemand (es war eine Männerstimme, eine laute, die ich scheinbar vor langer Zeit schon einmal gehört hatte) sagte: »Zieh ihn rüber, sonst geht er unter!« Ich wurde am Gürtel hochgehoben. Ein paar Augenblicke später konnte ich wieder aufstehen, obzwar meine Beine zitterten, daß mir angst war, ich würde wieder hinstürzen.
    Agia stand bei mir, und das blonde Mädchen, das mir auf den Riedsteg geholfen hatte, und ein starker Mann mit einem Kuhgesicht. Agia fragte, was passiert sei. Wie blaß sie war, fiel mir auf, obwohl ich noch halb benommen war.
    »Laßt ihm Zeit«, sagte der starke Mann. »Es geht ihm gleich wieder gut.« Und dann: »Wer, zum Phlegethon, ist das?«
    Er blickte zu dem Mädchen, das ebenso verblüfft wie ich schien. Es begann »D-d-d-d« zu stottern und ließ dann stumm den Kopf hängen. Vom Scheitel bis zur Sohle war es mit Schmutz beschmiert, und was es als Kleidung anhatte, waren nur bessere Lumpen.
    Der starke Mann fragte Agia: »Wo ist die hergekommen?«
    »Weiß ich nicht. Als ich mich umschaute, wo Severian so lange blieb, sah ich, wie sie ihn auf diesen schwabbeligen Steg zerrte.«
    »War doch gut. Gut für ihn jedenfalls. Ist sie verrückt? Oder verwunschen, was meinst du?«
    Ich entgegnete: »Was immer sie ist, sie hat mir das Leben gerettet. Kannst du ihr nicht etwas zum Zudecken geben? Sie friert bestimmt.« Ich fror selbst, wie mir in dem Augenblick, da ich wieder Leben in mir spürte, aufging.
    Der starke Mann schüttelte den Kopf und zog sich offenbar den schweren Mantel enger um die Schultern. »Nur wenn sie sich sauber macht, sonst nicht. Und sauber wird sie nur, wenn wir sie ins Wasser tauchen und ordentlich schwenken. Aber ich habe was, das fast so gut, wenn nicht besser wärmt.« Aus einer Manteltasche nahm er ein Metallfläschchen in der Form eines Hundes und reichte es mir.
    Ein Knochen im Hundemaul erwies sich als Stöpsel. Ich bot die Flasche dem blonden Mädchen an, das zunächst nichts mit ihr anzufangen wußte. Agia nahm sie mir aus der Hand und hielt sie ihr an die Lippen, bis sie mehrere Schlucke genommen hatte, woraufhin sie sie zurückgab. Ihr Inhalt schien Pflaumenschnaps zu sein; feurig spülte er den bitteren Geschmack des Moorsees auf angenehme Art fort. Als ich dem Hund seinen Knochen wieder ins Maul steckte, war sein Bauch wohl mehr als halb geleert.
    »So«, sagte der

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