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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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starke Mann, »ich denke, ihr solltet mir jetzt verraten, wer ihr seid und was ihr hier sucht – und behauptet mir ja keiner, er wolle nur den Garten besichtigen. Ich bekomme neuerdings so viele Gaffer zu Gesicht, daß ich sie schon erkenne, noch ehe sie in Hörweite sind.« Sein Blick fiel auf mich. »Um es gleich zu sagen, ein hübsches Messerchen, was du da hast.«
    Agia erwiderte: »Der Waffenträger geht inkognito. Er ist herausgefordert worden und will sich eine Averne schneiden.«
    »Er ist verkleidet, du jedoch bestimmt nicht. Glaubst du, ich könnte falschen Brokat nicht von echtem unterscheiden? Und bloße Füße, wenn ich sie sehe?«
    »Ich habe nie behauptet, daß ich nicht verkleidet oder von seinem Stand sei. Und was meine Schuhe angeht, ich habe sie draußen gelassen, um sie mir in diesem Wasser nicht zu verderben.«
    Der starke Mann nickte in einer Weise, die keine Aufschlüsse darüber gab, ob er ihr glaubte oder nicht. »Nun zu dir, Goldschopf. Dieses aufgeputzte Flittchen hat schon gesagt, daß sie dich nicht kennt. Und wie er guckt, glaube ich nicht, daß ihr Kerl – den du ihr, toll hast du das gemacht, rausgezogen hast – mehr weiß als ich. Vielleicht nicht mal so viel. Wer bist du also?«
    Das blonde Mädchen schluckte. »Dorcas.«
    »Und wie bist du hierhergekommen, Dorcas? Und wie ins Wasser? Denn dort mußt du gewesen sein, ganz klar. Nur vom Rausziehen deines Freundes hättest du nicht so naß werden können.«
    Der Schnaps hatte die Wangen des Mädchens gerötet, aber ihre Miene war genauso leer und bestürzt wie vorher oder wenigstens beinahe so. »Ich weiß nicht«, hauchte sie.
    Agia fragte: »Weißt du nicht mehr, wie du hergekommen bist?«
    Dorcas schüttelte den Kopf.
    »Was ist denn das Letzte, an das du dich erinnern kannst?«
    Die Antwort war langes Schweigen. Der Wind hatte offenbar aufgefrischt, und trotz des Weinbrands war mir furchtbar kalt. Schließlich murmelte Dorcas: »Daß ich an einem Fenster saß ... Im Fenster waren lauter hübsche Dinge. Auslagekästchen und ein Kruzifix.«
    Der starke Mann sagte: »Hübsche Dinge? Nun, bestimmt, wenn du dort warst.«
    »Sie ist verrückt«, meinte Agia. »Entweder ist sie davongelaufen, oder sie hat niemanden, der sich um sie kümmert, was angesichts ihrer dürftigen Kleidung wahrscheinlich ist. In einem unbewachten Augenblick ist sie wohl an den Kuratoren vorbei hereingehuscht.«
    »Vielleicht hat man ihr eine über den Schädel gehauen, sie beraubt und als scheinbar Tote in den See geworfen. Mehr Wege, als die Kuratoren kennen, führen hier herein, mein Dämchen. Oder vielleicht wollte man sie hier zur letzten Ruhe legen, während sie nur krank war und schlief. Im Koma, wie man sagt, und das Wasser weckte sie wieder.«
    »Das hätte derjenige, der sie herbrachte, doch bemerken müssen.«
    »In so einem Koma können sie lange unten bleiben, hab' ich mir sagen lassen. Doch ganz gleich, was passiert ist, das spielt jetzt keine große Rolle. Sie ist hier, und nun ist's an ihr, würde ich sagen, herauszufinden, woher sie kommt und wer sie ist.«
    Ich hatte den braunen Umhang fallen lassen und versuchte, meinen Gildenmantel auszuwringen; aber ich blickte auf, als Agia sagte: »Du hast uns alle gefragt, wer wir sind. Wer bist du?«
    »Euer gutes Recht, das zu wissen«, antwortete der starke Mann.
    »Euer gutes Recht! Und ich gebe euch ehrlichere Auskunft als ein jeder von euch. Danach muß ich allerdings wieder an die Arbeit. Ich bin gekommen, weil ich den jungen Waffenträger hier hab' ertrinken sehen, wie's jeder Rechtschaffene getan hätt'. Aber ich muß mich auch um meine Geschäfte kümmern, jetzt und später.«
    Mit diesen Worten zog er seinen großen Hut ab, griff hinein und beförderte eine speckige Karte heraus, die etwa doppelt so groß wie die Visitenkarten war, die ich gelegentlich in der Zitadelle zu Gesicht bekommen hatte. Diese überreichte er Agia. Ich spähte über ihre Schulter. In protziger Zierschrift stand darauf zu lesen:
    HILDEGRIN DER DACHS
    Aushubarbeiten aller Art durch einen Gräber oder 20 Dutzend.
    Kein Stein ist zu hart, kein Schlamm zu weich.
    Auskunft in der Argosy-Straße in der STUMPFEN SCHAUFEL
    Oder im Alticamelus an der Ecke beim Schwachen Willen.
    »Das bin ich, mein Dämchen und junger Sieur, wie ich dich wohl nennen darf, weil du zum einen jünger bist als ich und zum anderen viel jünger als sie, obwohl du vermutlich nur ein paar Jahre früher geboren bist. Nun muß ich aufbrechen.«
    Ich hielt

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