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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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ihn zurück. »Bevor ich ins Wasser fiel, hatte mir ein alter Mann in einem Nachen gesagt, weiter vorne am Steg sei jemand, der uns übersetzen könnte. Ich glaube, er hat sich auf dich bezogen. Nimmst du uns mit?«
    »Ah, derjenige, der nach seiner Frau sucht, der arme Kerl. Nun, er ist mir recht oft ein guter Freund gewesen, wenn er euch also empfiehlt, sollt' ich's wohl besser tun. In meine Schute gehen notfalls auch vier.«
    Er ging los und winkte uns, ihm zu folgen. Ich bemerkte, daß seine offenbar gefetteten Stiefel noch tiefer als die meinigen in die Segge einsanken. Agia sagte: »Sie kommt nicht mit.« Dennoch war es offensichtlich, daß Dorcas sich uns anschließen wollte. Zögernd stapfte sie hinter Agia drein und machte einen so verlorenen Eindruck, daß ich meinen Schritt verlangsamte, um mich um sie zu kümmern. »Ich würde dir meinen Mantel leihen«, flüsterte ich ihr zu, »wenn er nicht so naß wäre, aber darunter würdest du noch stärker als jetzt schon frieren. Wenn du jedoch auf diesem Steg zurückgehst, kommst du zum Ausgang und in einen Korridor, wo es wärmer und trockener ist. Wenn du dann eine Tür mit der Aufschrift Dschungelgarten suchst, gelangst du durch diese in einen sonnigen Raum, wo du dich bald wieder wohler fühlen würdest.«
    Kaum hatte ich diesen Rat erteilt, fiel mir der Pelycosaurier ein, den wir im Urwald gesehen hatten. Vielleicht war's um so besser, daß Dorcas mich allem Anschein nach nicht gehört hatte. Etwas in ihrer Miene verriet mir, daß sie Agia fürchtete oder sich in ihrer hilflosen Art zumindest gewahr wurde, ihr Mißfallen erregt zu haben; ansonsten deutete alles darauf hin, daß sie für ihre Umgebung kein bißchen wacher als ein Schlafwandler war.
    In dem Bewußtsein, ihr mit meinem Beistand nicht weitergeholfen zu haben, begann ich von neuem. »Im Korridor ist ein Mann, ein Kurator. Der wird sich bestimmt bemühen, dir etwas zum Anziehen und eine Feuerstelle zu finden.«
    Der Wind peitschte durch Agias kastanienbraunes Haar, als sie den Kopf umwandte. »Es gibt so viele dieser Bettlerinnen, wo käme man hin, würde man sich um eine jede kümmern, Severian. Das gilt auch für dich.«
    Hildegrin, der Agia sprechen hörte, sah über die Schulter zurück.
    »Ich kenn' 'ne Frau, die würd' sie aufnehmen. Ja, und sie sauberschrubben und ihr was zum Anziehen geben. Steckt 'ne vornehme Person unter diesem Dreck, auch wenn sie ein bißchen mager ist.«
    »Was machst du hier eigentlich?« fuhr Agia ihn an. »Du verdingst Arbeiter, steht auf deiner Karte, aber was hast du hier zu suchen?«
    »Genau, was du gesagt hast, mein Dämchen. Geschäfte.«
    Dorcas fing zu zittern an. »Ehrlich«, sagte ich ihr, »du brauchst nur umzukehren. Es ist viel wärmer auf dem Korridor. Geh nicht in den Dschungelgarten! Könntest in den Sandgarten gehn, dort wär's schön sonnig und trocken.«
    Mit irgend etwas hatte ich bei ihr die richtige Saite angeschlagen.
    »Ja«, hauchte sie. »Ja.«
    »Der Sandgarten? Würd' dir der gefallen?« Sehr sanft: »Sonne.«
    »Hier ist der alte Kahn«, verkündete Hildegrin. »Bei so vielen müssen wir es mit der Sitzverteilung sehr genau nehmen. Und daß mir keiner hin- und hersteigt – die Schute wird's tief ins Wasser drücken. Eine der Frauen an den Bug, bitte, und die andre und der junge Waffenträger ans Heck!«
    Ich sagte: »Gern übernehm' ich ein Ruder.«
    »Schon mal gerudert? Nein? Dacht' ich mir. Setz dich lieber ins Heck, wie ich gesagt hab'! Ob ein oder zwei Ruder, bleibt sich fast gleich, und ich hab' Übung, glaub' mir, obwohl schon mal ein halbes Dutzend mit mir hier drin gewesen ist.«
    Sein Kahn war wie er selbst breit, derb und plump. Bug und Heck waren viereckig und so ausladend, daß sich die Bordseiten von der Mitte aus, wo die Ruderdollen saßen, kaum verjüngten, obgleich der Rumpf an den Enden etwas schmaler war. Hildegrin stieg als erster ein, stellte sich gegrätscht über die Bank und stupste mit einem Ruder das Boot näher ans Ufer.
    »Du«, sagte Agia, während sie Dorcas am Arm nahm. »Du setzt dich da vorne hin!«
    Dorcas wollte gehorchen, aber Hildegrin wehrte ab. »Wenn's dir nichts ausmacht, Dämchen«, sagte er zu Agia, »möchte ich lieber dich im Bug haben. Weißt du, ich kann sie nicht im Auge behalten beim Rudern, wenn sie nicht hinten sitzt. Sie ist nicht ganz richtig im Kopf, darüber sind sogar wir zwei uns einig, und da wir recht tief im Wasser liegen werden, möcht' ich sehen können, wenn sie zum

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