Der Schatten des Highlanders
Vergangenheit, sein Geheimnis oder das ihrer gemeinsamen Erlebnisse nicht mehr allein tragen. Selbst wenn er sich nie mehr an irgendetwas erinnert hätte, so hatte ihm zumindest noch jemand anders versichert, dass er sie einst gekannt hatte.
Das Gefühl der Erleichterung war überwältigend.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie noch so dastand und darum kämpfte, die Beherrschung wiederzuerlangen. Cameron schien ein unerschöpfliches Maß an Geduld zu haben. Er gab beruhigende Laute von sich, summte Melodiefetzen, die sie nicht erkannte, und schließlich strich er ihr nur noch mit der einen Hand übers Haar und hielt sie mit der anderen an sich gedrückt.
Sie hatte das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.
Nur war es ein Zuhause, das sie nicht haben konnte.
Schließlich atmete sie tief durch. »Ich habe Ihr Hemd ruiniert.«
»Patrick hat mein Hemd ruiniert. Ich glaube eher, Sie haben es gerade für mich gewaschen.«
Sie brachte etwas zustande, das vielleicht als Lachen durchgegangen wäre, wenn das alles nicht so schmerzlich für sie gewesen wäre. Sie fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht und bat um ein Taschentuch. Cameron reichte ihr eine Packung, ohne sie ganz aus seiner Umarmung zu entlassen. Sie nahm sie und wischte sich, so gut es ging, die Tränen ab. Er zog sie wieder an sich und legte ihren Kopf an seine Schulter. Er sagte nichts, aber Sunny spürte, dass er langsam und gleichmäßig atmete. Vielleicht war das ja seine Art, seine Selbstkontrolle zu bewahren.
»Ich will alles wissen«, sagte er schließlich. Er griff nach den
Taschentüchern und wischte sich auch sein Gesicht damit ab. Er sah sie aus verweinten Augen an. »Alles.«
Sie holte tief Luft. »Also gut. Aber lass mich zuerst noch mein Gesicht waschen.«
»Du kommst sicher wieder?«
Sie schloss die Augen und nickte.
Er ließ sie so widerwillig gehen, wie sie es sich nur hätte wünschen können. »Dann warte ich auf dich.«
Sie riss sich von ihm los, solange sie es noch vermochte. Das waren die Worte, die sie hören wollte, aber das Timing war nicht richtig. Und es gab keine Möglichkeit, das zu ändern.
Sie entfloh ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich, dann blickte sie sich um, bis sie das Badezimmer entdeckte. Als sie dessen Tür erst einmal verschlossen hatte, setzte sie sich auf den Badewannenrand, von wo aus sie sich im Spiegel betrachten konnte.
Sie konnte kaum glauben, was gerade geschehen war. Cameron wusste Bescheid. Sie hatte so lange darauf gewartet, es sich so sehnlich gewünscht - und jetzt, wo es eingetreten war, wusste sie nicht, was sie tun sollte.
Sie grübelte auch darüber nach, warum Moraig ihr nicht selbst davon erzählt hatte. Aber was hätte sie sagen sollen? Sunny, meine Liebe, du wirst eine Zeitreise in die Vergangenheit machen und dich in den mittelalterlichen Laird des Cameron-Clans verlieben, und dann wirst du ihn verlieren. Sie wäre auf der Stelle davongelaufen, denn sie wäre sicher gewesen, dass ihr etwas Derartiges das Herz brechen würde.
Nun ja, das war in etwa das, was geschehen war.
Sie spritzte sich Wasser ins Gesicht, dann trat sie aus dem Badezimmer und warf sich aufs Bett. Sie war sich nicht sicher, ob es dort besser oder schlechter war, aber vermutlich war es nicht besser. Sie hätte nie auf Camerons Bitte eingehen sollen, aber anscheinend hatte sie ihren Verstand in Schottland auf Moraig MacLeods Schwelle verloren, wo sie auch ihr Herz zurückgelassen hatte. Der Gedanke, mit ihm, in seiner Um-armung, noch 24 Stunden zusammenzubleiben, sein Lächeln zu sehen und — der Himmel stehe ihr bei — sich von ihm küssen zu lassen ... es würde alles vernichten, was von ihr nach den letzten beiden Monaten noch übrig geblieben war.
Sie zwang sich, ebenso tief und gleichmäßig zu atmen, wie Cameron es vorhin im Wohnzimmer getan hatte. Es dauerte eine Weile, bevor sie sich entspannter fühlte. Allmählich sah sie die Dinge etwas klarer.
Sie wollen Antworten. Ich will Sie.
Das hatte er gesagt, aber vielleicht galt das für sie genauso. Sie wollte ihn, und sei es nur einen einzigen, wunderbaren Abend lang. Das würde sie auf Jahre hinaus mit Erinnerungen versorgen - denn sie war vollkommen sicher, sie würde Jahre brauchen, um über ihn hinwegzukommen.
Vielleicht brauchte er Erinnerungen an seine Vergangenheit, ebenso wie sie Erinnerungen an ihn aus der Gegenwart brauchte. Und ob ihr das passte oder nicht, sie war die einzige lebende Person, die ihm das geben konnte, was er
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