Der Schatten des Highlanders
Luft. »Warum lenkt Ihr mich nicht ein bisschen damit ab, indem Ihr mir von Eurer Familie erzählt? Vermutlich liegen Eure Verwandten nicht nachts wach und schmieden finstere Pläne, wie sie Euch still und heimlich um die Ecke bringen können.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ich weiß nicht, wie Sie darüber scherzen können.«
Er zuckte die Schultern. »Entweder scherzen oder weinen, und ich weine nie. Also, jetzt ist es Eure Pflicht, die Neugier Eures Laird zu befriedigen.«
»Und Neugier ist ja Ihr größter Fehler«, bemerkte sie. »Oder ist es eher Ihre Ritterlichkeit?«
»Ritterlichkeit«, sagte er mit verächtlichem Schnauben. »Das ist englischer Unsinn, Mädchen. Bei uns in Schottland gibt es dergleichen nicht.«
»Selbstverständlich gibt es das. Hier nennt man es >Ehre<.«
Er lächelte. »Gut, mag sein. Und nun, fahrt fort, Sunshine, bevor ich erröte. Erzählt mir zuerst von Euren Eltern. Und ich nehme zur Kenntnis, Ihr streitet nicht länger ab, dass ich Euer Laird bin.«
»Ich tue es Ihnen zu Gefallen.«
»Ganz wie es sein sollte.«
Sie lachte über ihn. »Sie sind unerbittlich - und schamlos. Aber ich werde Ihnen Ihre neugierigen Fragen beantworten. Meine Eltern sind Gelehrte. Sie verbringen ihre Tage damit, anderen Gelehrten Sprachen beizubringen.«
»Auch Eure Mutter?«
Sie lächelte über das Staunen in seiner Stimme. Hätte ihre Mutter das gehört, ihre Nackenhaare hätten sich aufgestellt, und sie hätte Cameron mit Worten aufgespießt. »Ja, auch sie«, sagte sie. »Es ist eine ganz andere Welt, dort, wo ich herkomme.«
Er sah sie nachdenklich an. »Es hört sich an, als seien Eure Eltern recht belesen. Selbst Eure Mutter.«
»Dem würde sie sicher zustimmen. Wahrscheinlich sind sie für uns Normalsterbliche zu gebildet. Ich habe nur eine Schwester, Madelyn.«
»Ist das die, die den Mut aufbrachte, einen MacLeod zu heiraten?«
Sie nickte. »Patrick trägt sie auf Händen, also habe ich nichts an ihm auszusetzen. Er ist ein wunderbarer Mann.«
Er ging eine Weile schweigend neben ihr her. »Er wird sich Sorgen machen um Euch«, sagte er schließlich.
»Ich denke schon.«
Er legte seinen Arm um ihre Schultern, dann griff er mit der anderen hinter seinen Rücken, nahm ihre Hand und legte sie um seine Taille. Sunny prägte sich diesen Moment ganz fest in ihrem Gedächtnis ein: Sie gingen in einem herrlichen Wald spazieren, ein Frühlingsschauer rieselte sachte durch die Bäume, und ein ritterlicher, starker Mann hielt sie fest, als wolle er sie nie wieder loslassen.
Zwar hatte sie kein Zuhause, war Hunderte von Jahren von ihrer eigenen Zeit entfernt und besaß keine Schuhe, aber als
Gegenleistung für diesen einen Moment konnte sie vielleicht auch weiterhin ohne diese Dinge auskommen.
Cameron blieb schließlich stehen, blickte sich kurz um, dann setzte er sich auf einen umgestürzten Baumstamm und zog sie neben sich. Er nahm ihre Hand in seine, betrachtete sie eingehend schweigend mehrere Minuten lang von beiden Seiten, dann sah er sie an.
»Wie alt seid Ihr?«, fragte er.
»Dreiunddreißig«, brachte sie heraus. »Warum?«
Er zuckte die Schultern. »Ich frage mich, warum Ihr immer noch Jungfrau seid. Sind denn die Männer, die Ihr kennt, einfach nur blind oder sind sie noch dazu dumm?«
Sie rutschte unruhig auf ihrem Sitz herum, aber er sah sie weiter an, ohne den geringsten Ansatz von Verachtung oder Spott in seinem Gesicht.
»Ich werde um eine Antwort auf diese Frage nicht herumkommen, oder?«, fragte sie schließlich.
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Warum ist das für Sie wichtig?«
»Weil ich glaube, dass es eine Menge über Euch aussagt, und ich bin neugierig, was.«
Es dauerte noch ein, zwei Augenblicke, bis sie entschieden hatte, wie sie es ihm erklären könnte, damit er es auch verstand.
Warum hatte sie noch mit keinem Mann geschlafen? Weil sie eine Außenseiterin gewesen war, darum. Die Highschool war für sie ein Alptraum gewesen. Es war nicht gerade ein Vorteil gewesen, dass sie ein Dutzend Sprachen beherrschte, Pflanzen interessanter fand als Kleider und vegetarische Gerichte schmackhafter als Hamburger. Wäre Madelyn nicht gewesen, dann hätte sie niemanden gehabt, mit dem sie reden konnte.
Natürlich hatte sich das geändert, sobald sie aufs College kam, dort hatte sie gleichgesinnte Freunde kennengelernt, aber selbst in diesen Kreis hatte sie nicht gut hineingepasst. Sie lief in einem Ledermantel herum, weil sie das Tragegefühl mochte, sie half
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