Der Schatten des Horus

Narr!«
    Als Sid zögerte, fügte er hinzu: »Seit dem Amerikaner war niemand außer einer Handvoll Qurnawi mehr in diesem Grab. Mögest du finden, was du suchst, Sid. Ich stehe in deiner Schuld!« Er machte eine einladende Handbewegung, als würde er seine Gäste in einen Palast bitten. Der Pharao ist nun bereit, euch zu empfangen!
    Sid musste auf dem Bauch vorwärtsrutschen, so eng war der Eingang. Mit ausgestrecktem Arm schob er die Lampe behutsam vor sich her. Nach drei, vier Metern flackerte die Flamme auf, kurz darauf hatten er und Rascal die Kammer erreicht.
    Was sie sahen, raubte Sid den Atem, darauf hatte ihn der alte Husni nicht vorbereitet. Sie standen in einem unberührten Grab. Sid kannte die Fotos von Tutanchamuns Gruft und den reichen Beigaben aus Bildbänden, sie verblassten jedoch gegen die Üppigkeit dieses Raumes. Er schätzte ihn auf zehn mal zehn Meter, doch vielleicht war er auch größer, denn jeder Winkel war mit Vasen, goldenen Schatullen, Krügen und Truhen überladen. Soweit sie nicht von kostbaren Möbeln, Schränken, Tischen und thronähnlichen Stühlen zugestellt waren, leuchteten prächtige Verzierungen an den Wänden, als wären die Götter erst vor ein paar Tagen gemalt worden und nicht vor mehreren Tausend Jahren. In der Mitte stand ein Sarkophag aus purem Gold mit feinen Einlegearbeiten aus blauen Edelsteinen, das Gesicht darauf schaute in die Ewigkeit.
    »Wow!«, stieß Rascal hervor. »Das ist ja noch verschwenderischer eingerichtet als euer Wohnzimmer!«
    Sid war nicht zum Lachen zumute. »Da hinten geht’s noch weiter. Ich frage mich wirklich, wie wir hier Nagys Nachricht an Pulitzer finden sollen. Meine Nase ist nämlich wie gelähmt von den Schimmelsporen, die hier durch die Luft schwirren.«
    Rascal setzte sich auf einen Thronsessel. »Hm, das ist in der Tat ein Problem. Und es sieht ganz aufgeräumt aus. Nagy hat nichts durcheinandergeworfen, keine Spur hinterlassen, also müssen wir unseren Grips benutzen.« Sie lehnte sich zurück. Sid blinzelte verwirrt. Dieses dreckverschmierte Punkmädchen mit den knallig roten Haaren wirkte auf dem Herrschersitz eines Pharaos irgendwi e … richtig.
    Er schüttelte diesen absurden Gedanken ab und sah sich in der vollgestopften Kammer um. Seine Augen blieben an den eingemeißelten Szenen an den Wänden hängen. Ein paar der Götter kannte er mittlerweile: Anubis, der schakalköpfige Gott der Einbalsamierung, Geb, der grüne Mann, der die Erde verkörperte, Bastet, die Katze, Nut, deren ausgestreckter Körper den Himmel bildete. Un d … Sid klatschte begeistert in die Hände. »Da ist Seth! Neben der großen Waage mit der Straußenfeder in der Schale. Ich könnte wetten, dass Nagy dort seine Nachricht versteckt hat!«
    Rascal sprang auf. Gemeinsam untersuchten sie das Relief. Seth wirkte grausamer als je zuvor. Sid traute sich kaum, ihm in die Augen zu sehen, aber sein Herz schlug vor Erregung schneller. Es erinnerte sic h …
    »Hier steht eine Kanope, die unversiegelt ist!«, flüsterte Rascal. Vorsichtig öffnete sie den Tonkrug. »Willst du, oder soll ich?«
    Sid schüttelte sich. »Ich habe keine Lust eine schimmelige Niere anzufassen oder so was.« Er hielt die Lampe dicht über die Öffnung. »Puh! Leer!«, stöhnte er auf. »Jedenfalls keine Körperteile.« Sid langte hinein und zog ein paar Seiten ans Licht. An den eigentümlichen Linien auf dem Papier erkannte Sid sie sofort wiede r – sie waren aus dem Notizbuch aus Sinistre Faux’ Laden herausgerissen worden.
    Sid und Rascal brachen in Jubelgeschrei aus. Noch ahnte keiner von ihnen, was Nagy geschrieben hatte.

52. Kapitel
    19 . März 1862, NY
    Fünf Jahre habe ich im Untergrund recherchiert, meistens gegen korrupte Politiker. Zum Schein arbeite ich in einem Lohnbüro in der Wall Street. Bin auf eine faszinierende Gemeinschaft von hochrangigen New Yorkern gestoßen, J. ist auch dabei! Eine Hand wäscht die andere. Versuche, mir Zugang zu verschaffen.
    25 . Mai 1862, NY
    Schwierig! Gemeinschaft ist verschworener Zirkel. Nur auf Empfehlung von zwei Anhängern erhält man Einlass. Muss weiter bohren.
    06 . November 1862, NY
    Ist mir gelungen, J. zur Versammlung zu folgen. Treffen finden unter Barnums Hypodrom statt. Muss mich an seine Fersen heften. Verspricht Erfolg.
    13 . Januar 1863, NY
    Diese Geschichte kostet mich Zeit! Ein Jahr bohre ich nun schon ohne Ergebnis. Eine Nummer zu groß für mich! Werde wohl aufgeben müssen.
    14 . Januar 1863, NY
    J. spricht mich auf der