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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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noch von Schelklingen aus im Neuen Bau an. Doch Berndorf war nach Ravensburg gefahren. Kurz entschlossen wählte sie die Nummer des Stuttgarter Polizeipräsidiums und ließ sich mit der Hauptkommissarin Eberhardt verbinden, die auf der Polizeihochschule eine ihrer Dozentinnen gewesen war. Auf die Gefahr hin, dass die Hauptkommissarin gar nicht zuständig war, schilderte sie ihr den Fall und gab Hannahs Adresse durch sowie die des kleinen Ladens für Kunsthandwerk, wo die junge Frau arbeitete.

    Brigitte Eberhardt hatte zugehört, ohne sie zu unterbrechen. »Wir schicken sofort jemand hin«, sagte sie dann. »Die Beschreibung von Thalmann muss bei uns vorliegen.«
    »Danke«, sagte Tamar. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich außerdem noch selbst nach Stuttgart fahre und mit der Tochter rede?«
    »Machen Sie nur, Kollegin«, sagte Brigitte Eberhardt. Das ist eine, die sich keinen Fall wegnehmen lässt, dachte sie beifällig.
     
    Tamar fuhr zurück nach Ulm, auf den »alten« Eselsberg. Der hieß so, um ihn und seine Wohnblocks aus den 50er-Jahren vom benachbarten »weißen« Eselsberg und seinen postmodernen Appartementbauten der 90er-Jahre zu unterscheiden. Hannahs Großmutter lebte in einem der Blocks, der – nach den Namen auf dem Klingelbrett zu schließen – inzwischen fest in türkischer Hand war. Sie musste lange klingeln, schließlich meldete sich eine verhuschte Stimme, Tamar sagte sehr nachdrücklich, dass sie von der Polizei komme. Es kam keine Antwort. Dann summte der Türöffner. Tamar stieg in den vierten Stock.
    Dort erwartete sie eine kleine rotwangige Frau. Wie ein Hutzelweibchen, dachte Tamar. Dann sah sie die trüben Augen und roch die Alkoholfahne. Mit aufgeplusterten Schwänzen drückten sich zwei getigerte Katzen um Hannahs Großmutter herum.
    »Sie kommen doch nicht wegen den Katzen«, sagte die Frau. »Es sind so liebe Tiere. Und wen stören sie denn! Und Krach machen sie auch keinen, da müssten sie mal die jungen Leute unten hören.« Dann zögerte sie und blieb auf dem winzigen Flur stehen. »Ich kann sie nicht reinbitten, ich habe noch nicht aufgeräumt.«
    Sie komme nicht wegen der Katzen, sagte Tamar. »Ich komme wegen Hannah. Ihrer Enkeltochter. Und der Person, die Ihnen Geld für Hannah gebracht hat.«

    Die alte Frau blickte zuerst ratlos, dann spielte sich etwas in ihrem Gesicht ab, fand Tamar, als ließe sie den Vorhang herunter. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Und was das die Polizei angeht. Glauben Sie mir, junge Frau, ich hab’ genug Leid gehabt in meinem Leben.«
    »Sie werden noch mehr Leid haben, wenn Sie von fremden Leuten Geld für Hannah annehmen«, sagte Tamar streng. »Wissen Sie nicht, dass Hannahs Vater draußen ist? Und was er ihr antun kann?«
    »Wie reden Sie mit mir?« Das rotwangige Gesicht verzog sich. Gleich fängt sie an zu heulen, dachte Tamar und stieß die nächstbeste Tür auf. Sie führte in ein verwahrlostes Wohnzimmer. Tamar ging hinein und musterte die Likörflaschen auf dem Couchtisch, die beiden von den Katzen zerkratzten und aufgerissenen Sesselchen, den überquellenden Aschenbecher. Im Fernseher lief eine Werbesendung mit einem Warenquiz.
    »Hören Sie«, die Frau zupfte sie am Ärmel. »Sie müssen entschuldigen. Es sieht wirklich schrecklich aus . . . Aber das Geld, das habe ich alles Hannah zugesteckt, es war doch nichts dabei, eine Schulfreundin meiner armen Tochter hat es mir gebracht.« Nein, sagte sie dann, den Namen der Schulfreundin kenne sie nicht.
    »Mütter kennen die Freundinnen ihrer Töchter«, sagte Tamar grimmig. »Alle Mütter tun das.«
    »O nein«, sagte die alte Frau. Ihre Tochter sei nicht so gewesen. Dann fing sie wieder an zu schniefen.
    »Wir reden nicht von Ihrer Tochter«, sagte Tamar. »Wir reden von dem, was Sie wissen.« Dann stand sie auf und ging zur Küche.
    »Warten Sie«, sagte die Frau.

Mittwoch, 28. Januar, 14 Uhr
    »Gut, dass du kommst«, sagte Kastner und schüttelte Berndorf die Hand. Kastner war baumlang und breitschultrig, mit seinen grau melierten Haaren und seinem buschigen Schnauzbart sah er aus, als ob er mancher Ravensburgerin gefährlich werden könnte, wenn seine Lisa ihn nur ließe. Und Lisa hatte ihre Augen nicht überall. Vor seinem Schreibtisch saß ein unauffälliger Mann mit sandfarbenem Haar, er trug die Uniform des Justizvollzugsdienstes und stand auf, als Kastner ihn mit Berndorf bekannt machte.
    »Das ist der Kollege Zürn von der JVA Mariazell«, sagte Kastner. »Ich habe ihn

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