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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Depressionen und Angstzustände, stimmungsaufhellend, er hat es sich von mehreren Ärzten verschreiben lassen.«
    »War er abhängig?«
    »Der Gutachter, das war immerhin der Pharmakologe Twienholt hier von der Ulmer Universität, hat es ausgeschlossen«, antwortete Halberg. »Das heißt, er hat bestritten, dass derartige Pharmaka überhaupt eine Abhängigkeit im medizinischen Sinne verursachen könnten. Im medizinischen Sinne, was immer das heißt! Ich habe damals nachgehakt, ob eine Persönlichkeitsveränderung denkbar sei, weil Thalmann das Medikament ja doch in auffälliger Dosierung zu sich genommen hat. Aber Twienholt sagte, die einzige denkbare Veränderung bestehe darin, dass Erregungszustände gemildert würden, abgedämpft. Darin sei ja wohl kaum eine charakterliche Veränderung zu sehen. Danach war für die Verteidigung nicht mehr viel zu machen.«
    Berndorf fragte noch einmal nach möglichen Anlaufstellen für Thalmann.
    »Zu mir wird er jedenfalls kaum kommen«, meinte Halberg. »Er hat mir mein Plädoyer ziemlich übel genommen.«
Im Jugendschutz-Dezernat hatte sich Sabine Mühlbauer sofort an die Thalmann-Tochter erinnert. Ihres Wissens sei das Mädchen vom Jugendamt in der Nähe Ulms untergebracht worden. Tamar bedankte sich und rief das Jugendamt an. Doch dann wurde es ziemlich nervtötend. Die Sachbearbeiterin berief sich auf den Datenschutz und erklärte, sie sei keine Erfüllungsgehilfin der Polizei. Tamar wurde so wütend, dass sie der Frau mit einer Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung drohte, falls Hannah Thalmann nicht rechtzeitig gefunden würde und ihr etwas zustieße. Nicht zum ersten Mal stellte sie fest, dass manche Frauen ganz besonders gereizt reagierten, wenn sie es mit einer Polizistin zu tun hatten. Diese Pissnelke! Sie verlangte schließlich den Dienststellenleiter. Aber der war auch eine Frau. Immerhin hörte sie zu und ließ sich dann sofort die Akten kommen.
    »Natürlich kennen wir das Mädchen«, sagte sie dann. »Sie hat den Namen behalten, obwohl wir ihr vorgeschlagen haben, sie solle den Mädchennamen der Mutter annehmen. Eigentlich hätten wir sie nach der Tragödie zu ihrer Großmutter, der Mutter der ermordeten Frau, bringen wollen. Aber die hat das alles nicht verkraftet, hatte zu trinken begonnen, wer will es ihr verdenken, mein Gott!«
    Sie unterbrach sich, Tamar hörte, wie ihr irgendwelche Unterlagen gebracht wurden. »Wir haben dann eine Pflegestelle gefunden, bewusst außerhalb Ulms, in Schelklingen, bei ganz vernünftigen, ruhigen Leuten. Hannah ist dort aufgewachsen, ohne Probleme, hat den Realschulabschluss gemacht und danach eine Lehre in einem Einrichtungshaus. Ich erinnere mich gut an Hannah, eine nette, stille junge Frau. Die Pflegemutter hat sicherlich noch Kontakt mit ihr – Moment, Regina Wagner heißt die Frau.«
     
    Drei Stunden später saß Tamar im kleinen voll gestellten Wohnzimmer eines spitzgiebligen Siedlerhäuschens in Schelklingen, einem Arbeiterdorf am Rande der Alb, einer dicken
großbusigen Frau gegenüber und trank Kaffee. Tamar kannte die Alb und wusste, dass es einfach ungehörig gewesen wäre, die Einladung abzulehnen. An der Wand neben ihr hingen Farbdrucke von Mutter Theresa und Johannes Paul II. neben einem abstrakten Ölbild, auf dem Rot und Blau und Schwarz im Widerstreit lagen. Auf dem Boden spielte ein Fünfjähriger mit einem Tretauto und schielte nach Tamar, ob sie ihm auch zuschaue.
    »Sie hent koin Platz it ghett für sell Büble«, hatte die dicke Frau erklärt, »no hent se’s halt zur alt’ Wagnere. Ma ko da ja it noi sage.« Dann erklärte sie, dass das Bild an der Wand von Hannah sei, und dass Tamar sicher sehe, dass es schön sei, auch wenn man es nicht verstehen müsse. Übrigens sei Hannah vor einem halben Jahr nach Stuttgart gegangen, und Tamar schien es, als ob die dicke Frau deshalb ein wenig traurig war. Tamar wollte wissen, ob in letzter Zeit irgendjemand Kontakt mit Hannah aufzunehmen versucht habe.
    »Sie moinet den Vadder«, stellte Regina Wagner fest und setzte die Kaffeetasse ab. »Noi, der zwidere Mensch kommt hier it nei. Außerdem isch er in Mariazell.«
    Dann zögerte sie. »Komisch isch es scho, dass Sie fraget«, sagte sie dann. In letzter Zeit hätte Hannah ab und zu Geld von ihrer Großmutter bekommen. Ihr sei es recht gewesen, und auch wieder nicht: »Des arm’ Weib hot doch selber nix.« Dann suchte sie für Tamar heraus, wo Hannah in Stuttgart wohnte und wo sie arbeitete.
    Tamar rief

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