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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sie hat es einem Kumpel abgenommen. Damit er nicht betrunken fährt. Natürlich weiß sie nicht, wie der Kumpel heißt.«
    Berndorf ging mit Tamar in ihr Dienstzimmer. Vor dem Schreibtisch hockte eine 15-Jährige mit verschmierter Wimperntusche und grellorange gefärbtem Haar. »Sie ist von zu Hause abgehauen«, sagte Tamar, »eine Vermisstenmeldung liegt nicht vor. Den Flachmann haben wir mit der anderen
Probe zur Gerichtsmedizin geschickt.« Dass das Mädchen ihr gesagt hatte, es sei vom Vater missbraucht worden, wollte sie in seinem Beisein nicht vor Berndorf wiederholen.
    »Wenn sie ausgerissen ist, sollten wir sie erst einmal hier behalten«, sagte Berndorf. Die 15-Jährige schniefte. »Den da kennst Du nicht?«, fragte Berndorf und hielt ihr das Foto von Tiefenbach vor. Das Mädchen zuckte ratlos mit den Schultern. »Überleg Dir’s«, sagte Tamar. »Wir reden morgen noch einmal.«

Freitag, 30. Januar, 9.10 Uhr
    Hastig parkte die Rechtsanwaltsgehilfin Pia Holzner ihren kleinen Fiat in der Tiefgarage. Es war schon nach 9 Uhr, Halbergs uralter BMW V8 stand bereits in seiner Bucht. Wieder einmal war sie zu spät, was ja eigentlich keine Rolle spielte, weil die Kanzlei kaum mehr Mandanten hatte. Nur änderte das nichts an dem Theater, das Halberg wegen der lächerlichen paar Minuten veranstalten würde.
    Sie öffnete die Tür zur Kanzlei. Die Tür zu Halbergs Büro war angelehnt. Sie rief einen Gruß hinein und hängte ihren Mantel auf. Von Halberg war nichts zu hören. Das Gezeter würde also erst später losgehen. Dann ging sie an ihren Schreibtisch und schaltete ihren PC ein. Auf dem Anrufbeantworter waren keine Gespräche gespeichert. Sie entschied, erst einen Kaffee aufzubrühen.
    Als sie mit dem Tablett in Halbergs Büro kam und die Tür hinter sich mit der Schulter zurückdrückte, sah sie aus den Augenwinkeln, dass der Anwalt hinter seinem Schreibtisch saß. Sie drehte sich ihm zu und sagte fröhlich: »Guten Morgen!« Dann sah sie, dass es doch nicht Halberg war. Hinter dem Schreibtisch saß irgendetwas, dessen Kopf grotesk nach hinten über die Rückenlehne hing. Plötzlich sah sie das Blut und hörte, dass jemand das Tablett auf den Boden hatte fallen
lassen. Der heiße Kaffee spritzte ihr auf die Knöchel. Irgendjemand schrie gellend. Sie konnte nicht mehr damit aufhören.

Freitag, 30. Januar, 11.30 Uhr
    Das linke Augenlid des Kriminaloberrats Englin zuckte in regelmäßigen Intervallen, zweimal kurz, einmal lang. Blocher nickte dazu missbilligend mit dem Kopf. Tamar sah ihm dabei zu. Er schaffte es nicht, den gleichen Takt wie Englins Augenlid zu halten.
    »Es ist sehr bedauerlich«, sagte Englin, »es ist außerordentlich bedauerlich, dass das Dezernat Eins gestern keine weiteren Vorkehrungen in der Sache Thalmann getroffen hat.«
    Berndorf, Leiter des Dezernats Eins, antwortete kalt, es sei Englins Entscheidung gewesen, wegen Thalmann nichts weiter zu unternehmen.
    Englins Gesicht wurde starr. »Ich habe Sie angewiesen, in der Sache Tiefenbach tätig zu werden. Ich habe Sie nicht angewiesen, deswegen Ihre sonstigen Dienstpflichten zu vernachlässigen.«
    Berndorf sagte, dass er nichts vernachlässigt habe. Es klang matt, wie er selbst fand. Was, bitte, hatte er denn schon erreicht? »Wir haben jetzt das weitere Vorgehen zu besprechen«, sagte Englin ernst und staatsmännisch.
    So richtig zubeißen trauen sich beide nicht, dachte Tamar.
    »Vermutlich«, sagte Staatsanwalt Desarts, »vermutlich stimmen wir alle darin überein, dass dringender Tatverdacht gegen Thalmann besteht. Halberg ist auf die gleiche Weise getötet
worden, die wir als Thalmanns Methode kennen. Und Halberg war Thalmanns Anwalt.«
    So schlüssig ist das aber nicht, dachte Tamar. Wo kommen wir hin, wenn jeder seinem Anwalt, der ihn lausig verteidigt hat, den Hals abschneidet?
    »Tut mir leid«, sagte Berndorf, der sich entschieden hatte, möglichst kooperativ zu sein. »Ich denke zwar auch, dass es Thalmann war. Aber Halberg ist in seinem privaten Umgang nicht gerade wählerisch gewesen. Deshalb ist auch ein ganz anderer Ablauf denkbar. Dass die Methode mit der Thalmanns übereinstimmt, kann schierer Zufall sein.«
    Desarts verzog das Gesicht. Halbergs Neigungen waren in der Tat bekannt.
    »Wir haben also drei Probleme«, fuhr Berndorf fort. »Wir müssen erstens Thalmann finden. Wir müssen zweitens das Strichermilieu überprüfen, für den Fall, dass Thalmann nicht Halbergs Mörder ist. Und wir müssen drittens für den Fall,

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