Der Schatten des Schwans
Herrn Vater zeigen?«
»Wozu soll das gut sein?«, antwortete die Frau. »Ich sagte Ihnen doch, wir kennen diesen Menschen nicht. Und mein Vater geht nicht aus. Er macht auch keine Spaziergänge.« Berndorf schaute sie aufmerksam an.
»Na schön«, sagte sie schließlich. »Wenn es der Wahrheitsfindung dient.« Sie ging ihm voran die Treppe hoch und dann nach rechts über einen weiten, hellen Flur. An den Wänden hingen unauffällig gerahmte Bilder, die in leuchtenden Farben und in spätexpressionistischer Manier Landschaftsszenen aus Oberschwaben und von der Alb zeigten.
Vor einer Tür hielt sie, klopfte leicht und ging dann hinein. Mit einer Handbewegung wies sie Berndorf an, zu warten, und schloss die Tür wieder hinter sich.
Nach wenigen Augenblicken kam sie wieder heraus und bat ihn hinein. Berndorf betrat ein großes, fast überheiztes Arbeits- und Bibliothekszimmer. Twienholt stand hinter einem Schreibtisch, auf dem zahlreiche Notizen sowie aufgeschlagene Bücher und Fachzeitschriften lagen. Wieder fiel Berndorf auf, dass Twienholt ein sehr alter Mann war. Nicht tattrig, nicht ohne Würde. Aber ein Greis.
Die beiden Männer begrüßten sich kurz, Twienholt bat höflich um Entschuldigung, dass er nur wenig Zeit habe. Er müsse in wenigen Tagen auf einem Fachkongress in Berlin ein Referat halten. »Ein sehr spezielles Thema.« Er sagte: »s-peziell«. Da war es wieder, dachte Berndorf.
»Aber Sie haben sicher einen triftigen Grund, uns aufzusuchen«, schloss Twienholt. Berndorf zeigte ihm die Klarsichtmappe.
»Tut mir Leid«, sagte Twienholt. »Den Mann kenne ich nicht. Und das Auto sagt mir leider gar nichts. Ist es in irgendeiner Weise merkwürdig? Ich achte auf solche Dinge nicht.« In diesem Augenblick betrat Schülin den Raum und ging mit raschen Schritten zum Schreibtisch: »Was tut dieser Mann hier?« Das sei Kriminalkommissar Berndorf, sagte Twienholt höflich, aber Schülin antwortete grob, dass er das wisse. »Ich hatte mit Herrn Berndorf bereits das Vergnügen.«
Berndorf streckte nun auch ihm die Klarsichtmappe entgegen. Schülin warf einen Blick darauf und antwortete zornig, dass ihm diese Bilder nichts sagten und er es sehr begrüßen würde, wenn Berndorf die weitere Ermittlungsarbeit den Fachleuten aus Stuttgart überlassen würde: »So, wie ich Sie verstanden habe, sind Sie von diesen Arbeiten ja auch aus gutem Grund befreit worden.«
Berndorf sagte, die Fotografien in der Mappe hätten nichts mit dem Fall Thalmann zu tun: »Wir denken, dass der Mann
auf diesem Bild Selbstmord begangen hat, aber wir kennen die Beweggründe noch nicht.«
Schülin antwortete, dass sich Berndorf dann bei seinen Recherchen bitte nicht aufhalten lassen möge. Berndorf verbeugte sich und sagte, er bedanke sich für die Mitarbeit. Dann ging er. Schülin begleitete ihn schweigend bis zur Haustür. Dort sagte er leise und drohend: »Glauben Sie bloß nicht, dass Ihre Auftritte kein Nachspiel haben!«
Berndorf ging in seine Wohnung zurück. Er fühlte sich erschöpft. Schülins Drohung hatte ihn noch erheitert. Aber kaum, dass er seine Wohnung betreten hatte, hockte ihm wieder die schwarze Übelkrähe, die Depression auf der Schulter. Reiß dich zusammen, sagte er sich. Dann setzte er Spaghettiwasser auf, schnitt eine Zwiebel für die Tomatensauce. Im Kühlschrank fand er noch einen Rest saurer Sahne.
Nach dem Essen schenkte er sich einen Whisky ein und überlegte, ob er sich eine CD von Hank Williams auflegen solle. Irgendwie war ihm nach Howlin’ at the moon zumute.
Das Telefon summte. Berndorf nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Was ist los?«, fragte Barbaras Stimme. »Du hörst dich anders an als sonst.«
»Ich habe einen großen Teller Spaghetti aufgefressen, sogar mit Sahne«, sagte Berndorf. »So höre ich mich an. Außerdem ist mir langweilig. Ich ruf’ dich zurück und du erzählst mir was.«
Er legte auf und tippte Barbaras Nummer.
»Also gut«, sagte Berndorf. »Ich höre mich nicht nur nach schweren Spaghettis an. Damit du es weißt. Man hat mich Knall auf Fall kaltgestellt. Außerdem bin ich in der Öffentlichkeit als Versager abgestempelt.« Dann berichtete er der Reihe nach.
»Okay«, sagte Barbara. »Endlich haben wir zwei es wieder einmal mit Steinbronner zu tun. Da möchte ich aber wenigstens
von ferne mit dabei sein. Also: Wir haben vier Komplexe, richtig? Den entsprungenen Mörder, der zwei weitere Leute umgebracht hat. Wir haben den Arbeitslosen aus Görlitz, der in Ulm
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