Der Schatten des Schwans
mehr.«
Die drei Männer gingen auf dem Kiesweg zwischen den Gräbern dem Ausgang zu. Plötzlich blieb Berndorf stehen. »Dieser Wehrmachtsoffizier – wissen Sie noch, wo der herkam?« , fragte er. »Ich meine, war das ein Bayer oder kam er aus dem Schwäbischen?«
Der Mann in dem Arbeitskittel schaute ihn an. »Komisch, dass Sie das fragen. Ein Schwab’ war das nicht und auch kein Bayer.
Der kam aus Norddeutschland. Das weiß ich genau. Der hat geredet – also unsereins kann das gar nicht, wie der geredet hat.«
Gemeinsam fuhren Berndorf und Kastner nach Ravensburg zurück.
»Hast du einen Richter, der ohne große Umstände eine Exhumierung genehmigt?«, wollte Berndorf wissen.
»Du willst den toten Doktor ausgraben lassen?«, fragte Kastner zurück. »Eine Nazi-Geschichte also.«
»Ja. Exakt«, antwortete Berndorf. »Und es muss schnell gehen. Bevor mich der Steinbronner suspendieren lässt.«
»Da gibt es eine einzige Chance«, sagte Kastner. »Aber der Ausgang ist völlig ungewiss. Wir müssen zur Kumpf-Bachmann.«
Steinbronner riss, ohne anzuklopfen, die Tür zu Tamars Büro auf und stürmte hinein. Englin folgte ihm auf dem Fuße.
»Wo steckt verdammt noch mal dieser Berndorf?«, fuhr Steinbronner sie an.
»Er ist in der Sache Tiefenbach unterwegs. Er versucht herauszubekommen, wer ihn in Ulm gesehen hat.«
»Sehr schön. Der Leiter des Morddezernats macht eine Haustürbefragung. Es wird immer toller.«
»Sie haben ja alle Leute für die Soko abgezogen«, antwortete Tamar kühl.
»Werden Sie nicht unverschämt«, sagte Steinbronner. »Machen Sie, dass Sie diesen Berndorf erreichen. Sagen Sie ihm, dass er ab sofort beurlaubt ist. Und dass das noch gar nichts ist. Hackfleisch wird der Staatssekretär aus ihm machen.«
Dann stürzte er wieder aus dem Büro. Englin wollte ihm folgen, aber vorher warf er Tamar noch einen bedeutungsschweren Blick zu.
»Was bitte wird Berndorf eigentlich vorgeworfen?«, fragte Tamar.
»Es liegt eine massive Beschwerde der Familie Twienholt vor«, sagte Englin mit leidender Stimme. »Staatssekretär Schlauff tobt.«
Kampflustig musterte die Vorsitzende Richterin Kumpf-Bachmann die beiden Männer, die etwas verlegen vor ihrem Schreibtisch hockten. Es gab mehrere Dinge, die Isolde Kumpf-Bachmann aus tiefstem Herzen verabscheute. Eines davon war Umständlichkeit. Kastner begriff, dass er den Stier bei den Hörnern packen müsste. Es wäre ein Fehler, wenn man Isolde Kumpf-Bachmann für eine Kuh halten würde.
»Das ist mein Ulmer Kollege Berndorf und er will einen Toten von 1945 exhumieren lassen. Der Tote ist unter dem Namen eines NS-Arztes bestattet worden. Mein Kollege denkt, dass der Name falsch ist und der NS-Arzt unter dem Namen des richtigen Toten weiterlebt.«
»Das ist aber ein Fall für Ludwigsburg«, sagte Isolde Kumpf-Bachmann und sah Berndorf streng an.
»Ich habe einen aktuellen Vorgang«, sagte Berndorf. »Einen Mann, der in Ulm ermordet wurde. Ich glaube, dass er der Sohn des Mannes ist, der unter dem falschen Namen begraben wurde. Der Sohn wurde umgebracht, weil er seinen Vater gesucht hat und an den Falschen geraten ist.«
Isolde Kumpf-Bachmann sah sich den Ulmer Kommissar nun doch etwas genauer an. Sie entschied, dass er einen nachdenklichen und disziplinierten Eindruck auf sie mache und jedenfalls kein Spinner sei. »Jetzt will ich das aber von Anfang an und in aller Ausführlichkeit hören!«, sagte sie dann.
Es war Mittag, als Berndorf wieder in seinem Wagen saß und Ravensburg verlassen konnte. Isolde Kumpf-Bachmann hatte alle notwendigen Anweisungen erlassen, Hendriksen würde am nächsten Morgen exhumiert und seine Überreste in die Gerichtsmedizin nach Ulm gebracht. Auch Kovacz war verständigt, und so mochten Steinbronner und Englin im Viereck springen, wenn sie Lust dazu hatten!
Als Berndorf auf die Landstraße nach Norden einbog, jagte er die Drehzahl hoch und suchte sich im Handschuhfach eine Kassette heraus. »Vieni Ragazzo« lockte Gianna Nannini mit ihrer voll aufgerauten Dröhnung. Berndorfs Citroën fegte durch das spätwinterliche Oberschwaben. In anderthalb Stunden würde er in Tübingen sein. Sturzenegger hatte Barbaras E-Mail erhalten und war bereit, mit ihm zu reden.
»Fammi prendere la luna« röhrte es aus den Lautsprecherboxen. Ja, dachte Berndorf, ich werd euch einen Mond aufgehen lassen!
In der Wohnung in Berlin-Neukölln machte sich der neue Untermieter daran, den Esszimmertisch
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