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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ermordet wird. Und in beiden Fällen gibt es Hinweise, die zu einem emeritierten Universitätsprofessor und Pharmakologen führen und von diesem zu Komplex vier, nach Christophsbrunn und zu den Menschenversuchen der Wehrmacht. Korrekt so weit?«
    »Korrekt«, sagte Berndorf. »Wobei Komplex vier des Pudels Kern ist. Es kommt mir immer so vor, als gehe alles von dort aus. Und führe dorthin zurück.«
    »Was hast du an Beweisen?«
    »Wenig. Gar nichts«, sagte Berndorf. »Warum spricht ein Mann das norddeutsche ›s-t‹ und ist doch angeblich in der Lausitz geboren? Dieser Mann hatte, möglicherweise, einen unehelichen Sohn, drüben in der DDR. Warum wird dieser Sohn umgebracht, als er ein paar Jahre nach dem Mauerfall in die Nähe des vermeintlichen Vaters kommt? Und welche Übereinstimmungen gibt es zwischen den Forschungen, die dieser Pharmakologe angestellt hat, und den Experimenten der Wehrmachtsärzte?« Berndorf machte eine Pause. »Du siehst, ich habe nichts in der Hand. Fast nichts.«
    »Das kann auch gar nicht anders sein«, sagte Barbara. »Die Wehrmacht hat ihre Beteiligung an den Menschenversuchen gründlich zu vertuschen versucht. Und Christophsbrunn war weit jenseits der Haager Konvention.«
    »Das ist gerade ein Punkt, der mir nicht klar ist«, sagte Berndorf. »Warum haben sie keine KZ-Häftlinge genommen? Sie mussten doch damit rechnen, dass die Siegermächte eines Tages fragen würden, was die Deutschen mit ihren Kriegsgefangenen gemacht hatten.«
    »Die alleinige Verfügung über KZ-Häftlinge lag bei Himmlers SS«, sagte Barbara. »Ich weiß es, weil ich es für ein Seminar über Hannah Arendt und ihr Eichmann-Buch vorbereiten musste. Die Wehrmachtsärzte wollten aber keinesfalls
auf die SS angewiesen sein, und erst recht nicht wollten sie ihr Einblick in die eigenen Forschungen geben. Außerdem hätte Himmler Experimente mit Psychopharmaka für überflüssig gehalten. Himmler schwor auf Naturheilverfahren.«
    »O du meine Fernuniversität, was täte ich ohne dich! Aber wie komme ich jetzt zu Material? Was ich vor allem brauche, sind Fotografien von diesen Ärzten«, sagte er dann. »Weißt du zufällig auch noch jemanden, der über die Wehrmachtsexperimente gearbeitet hat?«
    »Will ich dir ja sagen«, antwortete Barbara. »Es gibt in Tübingen einen Verein zur Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus, jedenfalls glaube ich, dass er so heißt. Einer der Professoren dort ist Beat Sturzenegger. Den kenne ich fast so lange wie dich. Wenn du willst, schick’ ich ihm eine E-Mail.«
     
    Der Abend war feucht und kühl. Die Luft roch, als sei das Ende des Winters nicht mehr weit. Rund um Ulm begannen die Bereitschaftspolizisten, die Wälder der Alb und des Hochsträß, des Bergzuges zwischen Donau und Blau, zu durchkämmen. Auf dem Ulmer Hauptbahnhof und den Bahnhöfen der Region patrouillierten Streifen des Grenzschutzes. Vor den Standkontrollen auf den Bundesstraßen um Ulm bildeten sich die ersten Staus.
    In der Einsatzleitung im Schulungsraum des Neuen Baus flackerten Monitore und klingelten die Telefone. Auf der Empore, wo sonst die Referenten saßen, stand Steinbronner und zündete sich ein Zigarillo an. »Glauben Sie mir, Blocher: Wir kriegen diesen Mann«, sagte Steinbronner zu dem vierschrötigen Mann, der neben ihm stand. »Und wenn wir jeden Pflasterstein umdrehen müssten.«
    »Jawohl«, sagte Blocher.
    Polizeistreifen brachten die ersten Verdächtigen in den Neuen Bau. Die meisten von ihnen waren schweigende, würdige grauhaarige Männer mit Schnauzbärten und dunklen,
verschlossenen Augen. Die Biberacher Bereitschaftspolizisten hatten sie in der Ladenpassage des Universum-Hochhauses unweit des Ulmer Hauptbahnhofs aufgegriffen. Die jungen Beamten wussten nicht, dass das Universum ein türkisches Einkaufszentrum war. Außerdem hatten die Grenzschützer mehrere Betrunkene und drei junge Männer gebracht, bei denen Haschisch gefunden worden war. In der Wache unten zeterte ein Bauer vom Hochsträß. Die Polizisten hatten ihn vom Traktor heruntergeholt.
     
    In einer Wohnung in Berlin-Neukölln zeigte die Schreinermeisterswitwe Magda Schubbach dem Mann, den ihr die Untermietzentrale geschickt hatte, das kleine Zimmer. Es war das einzige, das noch frei war. Der Mann war schon älter. Magda Schubbach fand ihn ruhig und seriös, und er war auch damit einverstanden, dass er das Bad morgens nur von 6.45 bis 7 Uhr benutzen durfte. Im Untermietvertrag trug er sich als Wolfgang Ullmer ein.

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