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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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jedenfalls lachte Cain, bevor sie verschwanden.
    Nynaeve schüttelte den Kopf. Vorsichtig. Jeder sagte ihr, sie solle vorsichtig sein. Eine Heldin aus der Legende, die zu helfen versprach, aber doch nicht viel tun konnte. Und eine der Verlorenen in Tanchico.
    Der Gedanke an Moghedien oder daran, was die Frau ihr angetan hatte, ließ in ihr den Zorn anschwellen, bis die Macht mit der Gewalt der Sonne in ihr pulsierte. Plötzlich war sie wieder in dem großen Saal, in dem sie zuvor gestanden hatte, und sie hoffte fast, die Frau sei zurückgekehrt. Doch bis auf sie selbst war der Saal menschenleer. Wut und Macht durchströmten sie, bis sie fürchtete, ihre Haut werde verschmoren. Moghedien oder jede der Schwarzen Schwestern könnten sie so viel eher in der Nähe spüren als ohne die Macht, doch sie ließ sie nicht fahren. Beinahe war es, als wolle sie von ihnen gefunden werden, damit sie auf sie einschlagen könne. Temaile befand sich höchstwahrscheinlich noch immer in Tel'aran'rhiod. Wenn sie in dieses Schlafzimmer zurückkehrte, konnte sie mit Temaile ein für allemal abrechnen. Sie konnte mit Temaile abrechnen - und damit den Rest warnen. Das reichte, um sie zum Grollen zu bringen.
    Was hatte Moghedien so angelächelt? Sie schritt hinüber zu der Vitrine, einem breiten Glaskasten, der auf einem geschnitzten Tisch stand. Sie spähte hinein. Sechs schlecht zueinanderpassende Statuetten standen im Kreis unter dem Glasdeckel. Eine nackte Frau, einen Fuß hoch, balancierte elegant auf den Zehenspitzen eines Fußes, als tanze sie. Ein nur halb so großer Schäfer spielte Flöte. Er hatte seinen Krummstab an die Schulter gelehnt, und zu seinen Füßen lag ein Schaf. Und genauso ›ähnlich‹ waren sich auch die anderen. Allerdings gab es keinen Zweifel daran, was das Lächeln der Verlorenen hervorgerufen hatte.
    Im Mittelpunkt des Kreises befand sich ein rotlackiertes Holzpodest, auf dem eine Scheibe lag, so groß wie eine Männerhand, die durch eine Schlangenlinie in zwei Hälften geteilt wurde. Eine Hälfte schimmerte weißer als Schnee, die andere war schwärzer als Pech. Sie bestand aus Cuendillar, wie sie wußte. Sie hatte schon andere gesehen, und nur sieben davon waren jemals angefertigt worden. Eines der Siegel vom Gefängnis des Dunklen Königs, der Brennpunkt für eines der Schlösser, die ihn im Shayol Ghul von der Welt fernhielten. Das war möglicherweise eine genauso wichtige Entdeckung wie das, was immer auch Rand bedrohen mochte. Das mußte man vor den Schwarzen Ajah retten.
    Mit einemmal wurde ihr das eigene Spiegelbild bewußt. Das Oberteil der Vitrine bestand aus feinstem Glas, ganz ohne Bläschen, und darin sah sie ein Bild, so klar wie in einem Spiegel, wenn auch blasser. Dunkelgrüne Seide umhüllte ihren Körper, und jede Rundung, ob Brust oder Hüfte, zeichnete sich deutlich ab. Lange honigfarbene Zöpfe mit vielen eingeflochtenen Jadeperlen umrahmten ein Gesicht mit großen braunen Augen und einem Schmollmund. Natürlich war das Glühen Saidars nicht zu sehen. So verkleidet, daß sie sich selbst nicht erkannt hätte, war es trotzdem, als trüge sie ein Schild vor sich her, auf dem stand: Aes Sedai.
    »Ich kann durchaus vorsichtig sein«, knurrte sie. Und doch verhielt sie noch ein wenig. Die Macht, die in ihr tobte, erfüllte ihre Glieder mit Leben. Alle Leidenschaften, die sie je gekannt hatte, sickerten in ihr Fleisch ein. Schließlich fühlte sie sich wie eine Närrin, und damit ließ ihr Zorn nach und sie konnte die Macht nicht länger halten.
    Was auch immer - ihre Suche wurde jedenfalls noch immer nicht von Erfolg gekrönt. Was sie suchte, mußte sich irgendwo in diesem riesigen Saal unter all den Ausstellungsstücken befinden. Sie riß ihren Blick von dem Skelett eines Tieres los, das wie eine mit vielen Zähnen bewehrte, zehn Schritt lange Eidechse aussah, und schloß die Augen. Notwendig. Dringend. Gefahr für den Wiedergeborenen Drachen, für Rand. Dringend.
    Verschiebung.
    Sie stand innerhalb des durch das weiße Seidenseil abgesperrten Teils an der einen Wand. Ihr Kleid berührte die Kante eines ebenfalls weißen Steinpodestes. Was auf diesem lag, wirkte auf den ersten Blick nicht sehr gefährlich: eine Halskette und zwei Armbänder, deren Glieder aus schwarzem Metall bestanden. Aber sie war nicht in der Lage, sich ihnen weiter zu nähern! Nicht ohne mir die Finger zu verbrennen, dachte sie trocken.
    Sie streckte die Hand aus, um die Schmuckstücke zu berühren: Schmerz. Kummer. Leiden.

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