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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Wackelkontakt. Ich sehe ja inzwischen so verdammt schlecht.«
    Die beiden Männer verschwanden die Treppe hinunter. Justine blieb mit Birgit zusammen sitzen. Hans Peters Mutter, dachte sie. Sie hat ihn in ihrem Körper getragen, ihm Nahrung und Wärme gegeben. Und ich liebe ihn. Also muss ich sie eigentlich auch mögen.
    »Wir hatten einmal ein Mädchen«, begann die alte Frau zögerlich. »Sie war ein ganz reizendes kleines Wesen.«
    »Ja, du hast von ihr erzählt. Margareta. Es ist traurig, was geschehen ist. Ich hätte Hans Peters kleine Schwester auch gerne kennen gelernt.«
    »Ich war dagegen, dass sie das Auto nimmt. Ich habe zu Kjell gesagt, wir dürfen sie nicht das große Auto fahren lassen, sie ist doch noch ein kleines, kleines Mädchen. Aber er, er wollte nicht hören. Männer, sie sind eben, wie sie sind. Natürlich kann sie das Auto nehmen, jetzt, wo sie endlich ihren Führerschein hat. Weißt du, Jugendliche denken, sie seien unverwundbar. Ich war mit dem Verhalten Jugendlicher vertraut, denn ich hatte jeden Tag in der Schule mit ihnen zu tun. Ich wusste alles darüber, wie sie dachten, über ihre Lebensanschauungen und ihren Umgang mit Herausforderungen. Doch Kjell wusste nichts. Nichts. Natürlich sollte sie mit dem Auto fahren dürfen. Wofür hatte sie denn sonst ihren Führerschein gemacht?«
    Justine fiel keine gescheite Antwort ein.
    Birgit nahm ihre Brille ab. Sie hing an einer Kette um ihren Hals. Sie rieb sich die Augen.
    »Ein Leben auszulöschen dauert nur ein paar Sekunden. Aber die jungen Leute gehen davon aus. dass das Leben und die Jugend ewig währt.«
    »Wie alt wäre Margareta heute?«
    »Sie wäre 44 Jahre alt. Sie war ein so liebenswertes kleines Mädchen, immer fröhlich, ich habe ihr nach dem Haarewaschen kleine Zöpfe geflochten, sodass ihr Haar nach dem Trocknen lockig wurde. Sie hatte immer ein Lied auf den Lippen, als sie klein war, sie sang den ganzen Tag und erfand sogar eigene Lieder. Ich habe sie aufgeschrieben, sie liegen in einer Schublade in der Kommode in unserem Schlafzimmer. Manchmal hole ich sie hervor und schaue sie an.«
     
    »Es ist so ungerecht.«
    »Ich verstehe.«
    »Sie war ein Mensch, der für das Leben bestimmt war. Warum durfte sie nur nicht leben? Eine Familie gründen. Selber Kinder bekommen und sich an ihnen freuen. Ich habe mir so viel von ihr versprochen. Aber das Schicksal wollte es anders.«
    »Ja, auf das Schicksal hat man leider keinen Einfluss«, sagte sie matt.
    Birgit runzelte die Augenbrauen.
    »Nein.« Sie saß eine Weile schweigend da. Dann sagte sie:
    »Das Schwerste im Leben einer Frau, weißt du, was das ist?«
    Sie spürte, wie es unter ihrer Kopfhaut zu stechen begann.
    »Es gibt wohl eine ganze Menge Dinge im Leben, die schwer sein können.«
    »Ja. Aber das größte Trauma für eine Frau ist, gezwungen zu sein, ihr eigenes Kind zu begraben. Du weißt nichts davon, Justine, du hast ja keine Kinder. Menschen, die keine Kinder haben, können niemals auch nur das Ausmaß der Einsamkeit erahnen, die in der eigenen Seele entsteht, wenn man seinen Sohn oder seine Tochter für immer verloren hat.«
    Der Zorn breitete sich wie ein Fieberschub in Justine aus. Ohne sich zu entschuldigen, fuhr sie von ihrem Stuhl hoch und verließ den Raum. Schloss sich in der Toilette ein. Stand dort und hielt sich mit den Händen am Waschbecken fest, umfasste es mit solcher Kraft, dass es bis in die Fingernägel hinein schmerzte. Wie von ferne hörte sie, wie Hans Peter und sein Vater die Treppe hochkamen, hörte Hans Peter fragen: »Wo ist Justine?«
    Da sank sie auf dem erhöhten Toilettensitz in sich zusammen und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu.

ES GAB FRAUEN. Ab und an hatte es Frauen in seinem Leben gegeben. Natürlich!
    Micke saß in der Kleingartenhütte, und bei dem Gedanken an Nettans Worte fuhr ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Nettan und Katrin. Erst jetzt ging ihm ernsthaft auf, dass sie sich regelmäßig über ihn unterhielten. Seine Person und seine Belange abhandelten und diskutierten. Du glaubst doch nicht etwa, dass er anders gepolt ist? Er konnte es vor sich sehen, Nettan und Katrin hinter dem Vorhang, wo sie hockten und Kaffee schlürften, wenn keine Kunden in der Boutique waren. Also ständig. Quatschten und tratschten über Dinge, die sie nichts angingen. Was hatten sie wohl noch alles gesagt? Über seinen Körper, seine Sexualität, seine Intimsphäre. Ihm tanzten schwarze Punkte vor Augen, sodass er nichts mehr sehen

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