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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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seinen Augen und verstummte.
     
    Sie musste tun, wie ihr geheißen wurde. Soweit begriff sie. Er war gefährlich. Den Oberkörper von ihm abgewandt zog sie ihre Stiefel aus, die langen Hosen, die Jacke und den Pulli. Auf ihren Oberschenkeln bildete sich eine Gänsehaut. Ihr Herz schlug wie wild.
    Sie blieb mit verschränkten Armen stehen, die Hände schützend vor der Brust gehalten. Sie hörte, wie er sich hinter ihr bewegte, und spürte plötzlich etwas Eiskaltes an ihrem Schulterblatt. Die Gewehrmündung. Sie stieß mehrere spitze Schreie aus. Das schien ihn nur noch mehr anzutreiben. Sie musste sich zur Ruhe zwingen.
    »Überleg dir gut, was du tust«, flüsterte sie.
    »Ich habe es mir überlegt.«
    »Du kannst dafür belangt werden.«
    »Aha.«
    »So etwas wird als Freiheitsberaubung geahndet.«
    »Na, und?«
    »Noch hast du die Möglichkeit, mich gehen zu lassen. Ich werde dich nicht anzeigen, das verspreche ich dir.«
    Der Schlag erzeugte ein Schwindelgefühl in ihr. Er traf sie seitlich am Kopf, direkt über der Schläfe.
    Warum nur?
    Auf einem Stuhl lag ein Haufen mit Kleidern. Solche, die man bei japanischen Kampfsportarten trug. In seiner Jugend hatte Nathan sich mit Judo beschäftigt. Einmal hatte er seine Judokleidung angezogen und ihr ein paar Griffe demonstriert. Doch das meiste hatte er wieder vergessen, wie er selbst gesagt hatte.
    Und jetzt stand sein Sohn da und wies auf die Judokleider.
    »Siehst du den Anzug dort!«
    Sie fasste sich ans Ohr, kein Blut. Er hatte nur mit der Hand geschlagen.
    »Micke, bitte!«
    »Siehst du den Anzug?«
    »Ja.«
    »Das ist ein Judoanzug. Er gehörte Nathan.«
    »Aha.«
    »Zieh ihn an!«
    »Wie bitte?«
    »Tu, was ich dir sage!«
    »Soll ich etwa den Judoanzug anziehen?«
    »Yes!«
    Der Stoff fühlte sich steif und kalt an. Sie hielt sich am Tisch fest, während sie in die Hose stieg. Schnürte sie auf Taillenhöhe zu. Zog dann die Jacke an. Sie passte. Nathan und sie waren gleich groß gewesen. Die Jacke hatte keine Knöpfe. Sie wickelte die Vorderteile um ihren Oberkörper und wartete.
    Er stand mit dem Gewehr in der Hand da.
    »Ist das dein Haus?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Ist er auch hier gewesen?«
    »Wer?«
    »Nathan.«
    »Nein.« Micke lachte auf. »Und er wird auch nicht herkommen.«
    Sie schwieg.
    »Du hast ihn verlassen!«, brach es aus ihm heraus.
    »Was sagst du da?«
    »Du hast genau gehört, was ich gesagt habe.«
    »Ich habe ihn nicht verlassen.«
    »Lüg nicht!«
    »Aber ich k … konnte nichts anderes tun.«
    Er legte das Gewehr erneut an und zielte auf sie. Genau auf ihre rechte Hand, die krampfartig die Jacke zuhielt. Direkt über ihrem Herzen befand sich ihre rechte, krampfhaft geschlossene Hand. Und genau darauf zielte er. Sie wimmerte laut und ließ den Stoff los. Die Jacke glitt auseinander. Man konnte ihren BH darunter sehen. Mit nackten Füßen stand sie auf dem kalten Fußboden.
    »Du hast ihn im Stich gelassen. Gib es zu. Du hast ihn im Stich gelassen!« Er schrie es geradewegs hinaus, sodass sich seine Stimme überschlug.
    »Nein, wir haben gesucht!«, schrie sie zurück. »Wir haben mehrere Tage lang gesucht. Aber er war weg.«
    »Halt die Klappe!«
    »Es stimmt, du musst mir glauben.«
    »Leg dich auf den Tisch!«
    »Micke …«
    »Tu, was ich sage, bevor ich die Geduld verliere. Leg dich mit dem Rücken auf den Tisch.«
    »Du bist doch verrückt, was hast du vor?«
    Er hielt einige Riemen in der Hand. Sie spürte, wie ihr übel wurde. Kurz darauf drehte sich ihr der Magen um, warm und nass plätscherte es auf ihre Füße hinab. Das Zimmer wirbelte umher. Sie nahm ihn wie einen schemenhaften Schatten wahr, den langen Gewehrlauf wie eine Spitze aus ihm hervorstechend. Er würde sie töten, er war krank. Sie wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Erbrochenes und Schleim hinterließen ihre Spuren auf dem Stoff. Hoffentlich rastete er jetzt nicht völlig aus.
    Sie tat, was er sagte. Kroch auf den Tisch und legte sich auf den Rücken. Er streckte ihre Arme in Richtung Kopfende und spannte sie an den Tischbeinen fest. Ein Gedanke blitzte in ihrem Kopf auf: Wenn sie sich nun losriss und auf ihn stürzte? Er hatte die Waffe abgestellt, vielleicht würde es ihr gelingen, ihn zu überwältigen. Nein. Sie wagte es nicht. Das Risiko war zu groß. Denn er war jung und muskulös. Da war es schon sicherer, zu versuchen, mit ihm zu reden. Ihn umzustimmen.
    Jetzt spannte er ihre Beine fest. Sie hingen über die Tischkante, und er saß mit den

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