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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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dann hast du auch solche Quadratlatschen wie ich. Wenn dir so viel daran liegt.«
    Micke hatte sich in den Kies geworfen und geheult.
    Nur ein Bild aus der Erinnerung, wie ein Scheinwerfer, der an- und wieder ausgeschaltet wird.
    Sie zuckte zusammen, als sie ihn sah. Ihr Gesicht war wie aus Pappe.
    Er ging auf sie zu und gab ihr die Hand.
    »Weißt du, wer ich bin?«, fragte er.
    Sie nickte. Ihre strähnigen Locken hüpften auf und ab.
    »Micke Gendser«, sagte er. »Wir sind uns schon einmal begegnet, aber das ist lange her. Damals war ich erst sechzehn.«
    Eine hässliche Manchesterjacke mit ausgefransten Ärmeln. Schwarz. Sie stand und zog an ihnen, versuchte, ihre aufgesprungenen Hände in ihnen zu verbergen. Blinzelte unter dem zerzausten Haar. Es hatte begonnen, grau zu werden, sie war alt. Älter, als er es sich ausgemalt hatte.
    »Mein Gott, hast du mir Angst eingejagt!«, flüsterte sie.
    »Warum denn?«
    »Zuerst …«, begann sie stotternd, »zzz … uerst dachte ich, dass er es sei.«
    »Nathan?«
    Sie starrte auf den Boden, antwortete nicht.
    »Hast du gedacht, dass es Nathan ist, der aus dem Dschungel zurückkommt?«
    »Nein, aber … ihr seid euch so ähnlich.«
    »Das sagen viele.«
    »Ihr seid einander erschreckend ähnlich. Auch wenn du natürlich viel jünger bist.«
    Es ging ein starker Wind. Das Laub wirbelte um ihre Beine herum. Er schaute an ihr vorbei in Richtung des Stegs, an dem ein Ruderboot im Wasser lag und schaukelte. Um den Baum herum stand der große Käfig aus Maschendraht. Er war leer.
    »Wieso bist du gekommen?«, fragte sie.
    »Ich möchte dir etwas zeigen.«
    »Und was?«
    »Das wirst du dann sehen.«
    Sie presste ihre Hände gegen die Oberschenkel und drückte die Knie gegeneinander.
    »Aber diesmal gehen wir nicht rein«, sagte sie steif.
    »Was meinst du?«
    »Nicht ins Haus.«
    »Nein. Wir gehen nicht rein.«
    »Du hattest doch Angst vor dem Vogel.«
    »Kann sein. Aber das ist lange her.«
    »Du hast verängstigt auf der Treppe gesessen.«
    »Na ja, er ist einfach so aus dem Nichts aufgetaucht und hat mich überrumpelt.«
    »Ich weiß noch, dass ich dir etwas vorgespielt habe. Ich habe auf meinem Horn geblasen.«
    »Ja.«
    »Du hast auf der Treppe gehockt und warst traurig.«
    »Wegen ihm. Wegen Nathan.«
    »Als ich klein war, bin ich oft am Strand entlanggegangen und hab in das alte Horn geblasen. Mein Vater hat es mir damals geschenkt. Es ist eines meiner Andenken an ihn.«
    »Ich habe auch Andenken an meinen Vater.«
    »Nathan.«
    »ja. Nathan. Und die wollte ich dir gerne zeigen.«
    »jetzt?«
    »Ja, jetzt. Es würde mir viel bedeuten, wenn du mich begleiten könntest. Ich glaube, es wäre für uns beide gut.«
    »Aber wir gehen nicht ins Haus.«
    »Nein, nicht in dein Haus. Aber möglicherweise in ein anderes. Du wirst sehen.«
     
    Sie saß neben ihm im Auto. Es war lange her, dass dort jemand gesessen hatte. Nettan manchmal, wenn sie zu Coop Forum fuhren und einkauften. Sonst keiner. Jedenfalls keine bedeutsame Person. Justine hingegen war eine bedeutsame Person. Und jetzt saß sie hier neben ihm. Ihre Jacke war feucht. Sie fröstelte.
    »Wie du zitterst. Ich stelle die Heizung an.«
    Er wunderte sich darüber, wie nett er klang. Aber das war gut so. Es war ein Teil des Plans.
    Sie lächelte ihm flüchtig zu. Sie wirkte etwas ruhiger jetzt, nicht mehr so angespannt.
    »Du bist aufmerksam. Das war er auch. Dein Papa.«
    »Ja.«
    »Du bist ihm so ähnlich. Ich kann es kaum glauben.« *
    »Ich bin es gewöhnt, das zu hören.«
    Es war kurz nach vier Uhr. Der Feierabendverkehr hatte eingesetzt. Jedoch nicht so sehr in ihrer Richtung, mehr in Richtung Hässelby.
    »Wo wohnst du?«, fragte sie.
    »In Abrahamsberg.«
    »Studierst du?«
    »Nein. Ich baue mir gerade ein Reisebüro auf. Cheap Trips heißt es. Ich übernehme es sozusagen von meinem Vater.«
    »Aha«, antwortete sie leise.
    »Sag, dass es ein gutes Konzept ist. Billig und spannend. Es gibt massenhaft Leute, die genau das suchen. Ich meine, die keine Lust auf Massentourismus haben und ihr Geld lieber für anspruchsvolle Reisen ausgeben. Die etwas Ausgefallenes suchen. Genau wie Nathan es sich vorstellte. Gib zu, dass das ein spannendes Projekt ist.«
    »Cheap Trips«, wiederholte sie.
    »Das mit dem Namen war meine Idee.«
    »Er ist gut.«
    »Aber ich hab noch nicht richtig losgelegt. Ich warte noch auf Kohle. Aber dann. Dann.«
    »Er hätte es bestimmt gut gefunden. Dass es sozusagen weitergeführt wird.«
    »Ja.

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