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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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und jede fünfte Woche hatte sie neun Tage am Stück frei. Von so einer freien Periode war sie gerade zurückgekehrt.
    Sie trat schnell und entschlossen in die Pedale, um die zähe Steigung vor der Mälarbrücke zu bewältigen, ohne absteigen und schieben zu müssen. Kondition ließ sich ohne Zweifel nicht konservieren. Sobald sie ein paar Tage hintereinander nicht Fahrrad gefahren war, hatte sie sofort weniger Kraft. Manchmal trainierte sie im Nautilus, hinten am Freibad Sydpool. Sie sollte es öfter tun, es vielleicht sogar auf dreimal in der Woche ausdehnen.
    Ich muss mich am Riemen reißen. Überall hört man, wie verdammt wichtig es ist, sich zu bewegen. Sie hatte um die Taille herum ein wenig zugelegt, was sie ärgerte. Denn sie war sonst immer ziemlich schlank gewesen. Doch seitdem sie vor einigen Jahren aufgehört hatte zu rauchen, hatte sie acht Kilo zugenommen, und sie würde sich selbst etwas vormachen, wenn sie annahm, sie ohne eigenes Zutun wieder loszuwerden.
    Obgleich Fett immer noch besser ist als Krebs. Das hatte sie jedenfalls immer zu Berit gesagt, die Kettenraucherin gewesen war. Gewesen war?, durchfuhr es sie. Eine plötzliche Sehnsucht überfiel sie, und ihr Zwerchfell zog sich schmerzhaft zusammen. Sie öffnete den Mund und schrie geradewegs heraus:
    »Berit! Du musst jetzt, verdammt noch mal, zurückkommen!«
    Dann verstummte sie, beschämt und über sich selbst verwundert. Sah sich nervös um. Nein, keiner schien sie gehört zu haben. Der Drang zu weinen machte sich in ihrem Hals bemerkbar, sie räusperte sich verärgert und schluckte.
    »Hör auf jetzt!«, ermahnte sie sich. »Zum Teufel, Jill, hör auf!«
     
    Auf der rechten Seite oben auf der Brücke lag der mittlerweile stillgelegte Schleusenturm, der von Beginn an eine Fehlplanung gewesen war. Mehrere ihrer Kollegen hatten berichtet, wie es war, dort zu arbeiten. Aufgrund des Verkehrs schwankte und vibrierte der ganze Turm so heftig, dass man seinen Kaffeebecher nur maximal bis zur Hälfte füllen konnte, ansonsten schwappte er über. Und wenn man zur Toilette wollte, musste man bis nach unten in den Keller hinabsteigen.
    Oben auf der Brücke angekommen, konnte Jill aufhören zu treten und den nächsten Berg hinuntersausen. Ihre Augen tränten im Wind. Während Tor und sie fort gewesen waren, war auch die Hitzeperiode abgeklungen. Ihre Kollegen würden sie damit aufziehen. Keiner von ihnen konnte verstehen, warum sie ausgerechnet Norwegen als Reiseziel gewählt hatte.
    »Für das Geld hättest du bis in die Südsee reisen können.«
    Aber sie wollte nicht in die Südsee, verspürte nicht das geringste Bedürfnis danach.
    Es war ihr schwergefallen, heute Morgen wach zu werden. Sie war erst weit nach Mitternacht nach Mause gekommen. Tor hatte ihr angeboten, bei ihm zu übernachten, damit sie so spät nicht mehr mit dem Vorortzug fahren musste. Doch sie hatte abgelehnt, in der Hoffnung, den letzten Zug noch zu erwischen, was ihr auch gelang. Es war die Nacht auf Dienstag und gab daher auch keinen Wochenendverkehr. Ansonsten war sie nicht besonders erpicht darauf, um diese Uhrzeit Zug zu fahren. Kurz vor ein Uhr war der ziemlich demolierte und mit Graffiti vollgeschmierte Zug schließlich im Hauptbahnhof von Södertälje eingelaufen. Für das letzte Stück hatte sie sich ein Taxi geleistet.
     
    Sie öffnete das Tor zum Schleusenbereich, fuhr hinein und stellte ihr Fahrrad ab. Obwohl gerade kein Schiff in der Schleuse lag, bemerkte sie die typischen Gerüche von Schiffen, von Diesel, Schmieröl und Schweröl. Sie nahm den Fahrstuhl nach oben zum Manöverturm. Fred und Nisse waren gerade gekommen. Mit den beiden arbeitete sie die meiste Zeit zusammen. Die Nachtschicht war auf dem Weg nach Hause. Fred umarmte sie zur Begrüßung.
    »Und, schöne Zeit gehabt?«
    Sie nickte. Ihr Schädel brummte vor Müdigkeit.
    »Und selbst?«
    »Doch. Super. Siehst du nicht, wie braungebrannt wir sind?« Er krempelte den Ärmel seines Pullis hoch und zeigte ihr seinen bloßen Arm. Nisse umfasste ihre Schultern und betrachtete sie.
    »Du allerdings nicht, wie ich sehe! Du bist ja bleich wie ein Spargel. Hast du etwa keinen Fensterplatz bekommen, oder was?«
    Sie lachte.
    Der Raum, in dem sie saßen, lag ganz oben im Turm mit Aussicht über die Ein- und Ausfahrt des Kanals. In der Mitte standen ihre Schreibtische zu einer großen Arbeitsfläche zusammengestellt. Drei der Wände waren nahezu vollständig mit getöntem Glas versehen. An einer vierten waren

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