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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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werden würde. Bist du mal in diesen Ländern gewesen, Hans Peter? War dein gesamter Körper schon mal mit Bissen und blauen Flecken übersät? Hast du das jemals erlebt?«
    »Nein, meine Liebe, nein.«
    »Dort war ein Mann, er war noch ein halber Junge. Er lag wie tot direkt auf der Straße vor dem Hotel. Es war am ersten Tag, als wir mit dem Taxi vom Flughafen kamen. Ich fragte Nathan, glaubst du auch, Nathan, glaubst du, dass er tot ist? Aber Nathan beschimpfte stattdessen den Fahrer, der ihm zu viel Geld abknöpfen wollte. Ich glaube, er hat den Jungen nicht einmal bemerkt. Was hat dieses Land nur mit uns gemacht … und der Dschungel erst … und der Schlamm … man war niemals trocken, die Kleider verrotteten am Körper, und am Morgen darauf, wenn man sie wieder anziehen wollte, waren sie feucht und stanken. In so einem Klima kann man keine Kleider trocknen. Wie machen die Einheimischen das nur, diejenigen, die im Dschungel leben, denn es gibt dort ja Menschen, zähe und kleine, das Orang-Asli-Volk lebt dort. Wie trocknen die ihre Kleider?« An dieser Stelle weinte sie laut, und Hans Peter schlang seine Arme um sie und hielt sie fest.
    Er ließ sie reden. Dachte, dass es ihr gut tun müsse. Denn er hatte die Erfahrung gemacht, wie es sein konnte, wenn man nicht sprach. Vor langer Zeit hatte sich seine Schwester Margareta totgefahren. In den darauffolgenden Jahren wuchs die Stille in seinem Elternhaus. Er war gerade mitten im Studium gewesen. Doch dann brach er alles ab, seine gesamte Zukunft, um sich um seine vom Schock erstarrten Eltern zu kümmern.
    »Es muss eine albtraumähnliche Reise gewesen sein«, murmelte er und ließ seine Finger durch ihr Haar gleiten, sie lag mit ihrem Kopf in seinem Schoß, mit starrem Gesichtsausdruck und geschlossenen Augen.
    »Sie fragten mich, ob ich irgendein Geräusch gehört hätte, als ich unter der Dusche stand. Kann man das, Hans Peter? Kann man Geräusche hören, wenn einem das Wasser in die Augen und Ohren läuft, kann man das?«
    »Nein«, flüsterte er. »Das kann man ganz sicher nicht, das ist unmöglich.«
    »Ich sah sie sofort, als ich herauskam. Sie lag auf dem Boden, und aus ihrem schmalen Rücken ragte ein Messer. Es war mein Messer, mein Parang. Es war der, den ich von Nathan bekommen hatte.«
    »|a«, sagte er bestätigend und spürte, wie ihr Körper steif wurde, der Nacken sich streckte und anspannte. Er ergriff ihre Finger, die eiskalt waren, und begann, sie zu massieren, die Fingerspitzen und die weichen Handflächen. Langsam ließ der Krampf in ihrem geplagten Körper nach.
    »Sie nahmen ihn später fest, er muss es wohl gewesen sein, sie ließen mich ihn durch eine Luke angucken. Er hockte in einer Zelle, einem regelrechten Loch, aber es musste wohl eine Art Zelle gewesen sein. Sein Rückgrat stach hervor wie eine Flosse. Ich glaube schon, dass er es war, aber wie soll ich da sicher sein, wie soll ich das, Hans Peter?«
    »Es war richtig von dir, dass du zurück ins Bad geflüchtet bist, als du das Messer sahst«, flüsterte er, so oft hatte er sie diese Geschichte nun schon erzählen hören, dass er jeden Abschnitt, jedes Detail kannte. »Dieser Mann war verzweifelt, er hätte ebenso gut dich töten können, das Messer an sich reißen und es in dich, in deinen Körper rammen können. Hat man einmal getötet, so ist man auch in der Lage, mehrmals zu töten, denn dann hat man die Sperre durchbrochen, die natürliche Sperre, die die meisten von uns haben, aber eben die Kranken, die Verrückten und die Verzweifelten nicht. Welchen Verlust er mir damit bereitet hätte, welchen Verlust, meine liebe, geliebte Frau.«
    »Glaubst du … glaubst du, dass sie ihn zum Tode verurteilt haben? Du weißt, in diesen Ländern …« Sie setzte sich auf und betrachtete ihn mit Augen, die von nackter Angst erfüllt waren. »Ich habe vergessen, wie es war … oder ob sie ihn freigelassen haben. Vielleicht war er es auch gar nicht. Vielleicht war er nur ein ausgehungerter Dieb auf der Jagd nach Geld. Was habe ich gesagt, als sie mich zwangen, ihn genau anzusehen? Was hab ich da gesagt, Hans Peter?«
    Sie schniefte geräuschvoll und begann zu hyperventilieren.
    »Wie ein … Tier, ein abgemagertes, elendiges Tier saß er dort auf dem Boden, dunkel und nackt, was hab ich gesagt? Hab ich zu ihnen gesagt: Das ist er? Hab ich ihn geopfert, weil ich mich nicht mehr erinnern konnte?«
     
    Die Kopfschmerzen machten keine Anstalten nachzulassen. Hans Peter ging zum Medizinschrank und

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