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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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erfahren. Er erinnerte sich daran, dass sie von Tigern sprach. Und von Elefanten. Dass Nathan trotz seines Messers möglicherweise von einem aufgeschreckten oder verletzten Elefanten angegriffen worden war.
    Nein, das hätten die anderen doch auf jeden Fall hören müssen. Gehörten sie nicht einer ganzen Gruppe an? Wenn also ein Elefant wütend geworden wäre und jemanden von ihnen angegriffen hätte, hätten die anderen doch Geräusche hören müssen. Schnauben, Schreie, Trompeten. Der Tod im Dschungel war ja wohl kaum ein lautloser.
    Dann hielt sie eine schmalzige Rede darüber, dass Nathan ein Mann des Abenteuers gewesen war, und ähnlichen Unsinn. Er war gestorben, als er am glücklichsten war. Mit den Stiefeln an den Füßen mitten aus dem Leben gerissen. Er hatte ja, verdammt noch mal, überhaupt keine Stiefel mit.
    Was weißt du schon darüber, wie glücklich mein Vater war?, schoss es ihm durch den Kopf. Dummerweise hatte er angefangen zu weinen. Laut und hemmungslos, wie ein Kind. Er schämte sich, wenn er daran dachte. Aber er hatte es nicht zurückhalten können. In dem Moment kam sie die Treppe hinunter, fast kriechend, in gebückter Haltung Stufe für Stufe hinunterrutschend, und zog ihn an sich und streichelte ihn.
    Ich habe noch nie jemanden so geliebt, wie ich deinen Vater geliebt habe.
    Und dann geschah das Merkwürdigste und Verrückteste von allem. Sie stand auf, ging in eines der Zimmer und holte ein Horn hervor, ein altmodisches Posthorn, auf dem sie blies.
    Erst da hörte er auf zu weinen.
     
    Wie erfuhr er es? Wie erhielt er eigentlich den Bescheid, dass Nathan höchstwahrscheinlich nie wieder nach Hause zurückkehren würde?
    Fragmente von Worten und Sätzen.
    Ein Pastor. Ja, verdammt noch mal, ein Pastor, den Nettan zu sich nach Hause gebeten hatte, ein Pastor, der den Schock lindern sollte. Sie kannte ihn, woher, wusste Micke allerdings nicht. Nur, dass er plötzlich dasaß, im Ledersessel, das klirrende Geräusch von Tassen auf Untertassen. Diese winzigen Puppentassen, die nie hervorgeholt wurden, da sie viel zu klein waren, sie benutzten stattdessen Becher, davon hatten sie Hunderte, sodass sogar bei Weihnachts- und anderen Geschenken ein Becherverbot existierte.
    Micke ging über den Fußboden, und es knirschte ziemlich unter seinen Sohlen, als läge dort Zucker, schneidend und kratzend, komm und setz dich ein bisschen hierher, wir müssen reden.
    Nettan hatte ihr Haar hochgesteckt und zu einer Schnecke auf dem Oberkopf drapiert, ihre Ohren standen ab, es klingelte und bimmelte, lange Silberohrhänger und um den Hals einen hellblauen Seidenschal.
    »Mikael!« Ihre Stimme wurde klar und scharf. »Hör auf, dort hin- und herzutraben, und setz dich! Dieser Mann hier ist Pastor. Er ist hier, damit wir ihm zuhören.«
    Er konnte sich also nicht länger drücken und fühlte sich wie ein Kalb, das eingefangen und gebrandmarkt wird, als der Pastor seine kleine Pfotenhand ausstreckte und er sie ergriff, er ergriff sie tatsächlich. Die Wangen des Pastors hingen wie faltige Beutel herab.
    »Auf Wunsch deiner Mutter habe ich Kontakt mit dem Außenministerium und der Botschaft in Kuala Lumpur aufgenommen«, begann er.
    Nettan fuhr von ihrem Stuhl hoch, lief in die Küche und schaute nervös hinaus in den Garten.
    »Die Mädchen, sie müssten jeden Augenblick kommen. Wir müssen auf die Mädchen warten.«
    »Deine Schwestern?«, fragte der Pastor, obwohl er es wusste, er musste es wissen, »deine Zwillingsschwestern, wie heißen sie noch gleich, man hat es mir gesagt, aber ich habe es vergessen, ich und Namen … das ist natürlich ein Manko für einen Mann in meinem Fach.« Er schnaubte durch die Nasenlöcher, vielleicht sollte es ein Lachen sein, eine Art, dem Unangenehmen zu entrinnen, dem, was bald ausgesprochen werden musste, was aber keiner hören wollte, sodass er wünschte, er könnte gehen und es mit sich nehmen, es auf der Straße rauslassen oder in der U-Bahn, falls er mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war, es wegschnicken, als handelte es sich um ein Missverständnis.
    Mit einem Mal waren die Zwillinge da. Jasmine und Josefine. Eineiige, aber mit unterschiedlichen Frisuren. Die eine hatte einen Stoppelhaarschnitt wie ein Junge, die andere hingegen trug füllige Locken. Weiße Jeans und Jacke. Der Duft nach Eau de Toilette füllte Nettans Wohnzimmer, und sie ging hinaus auf den Balkon, um zu rauchen. Die Zwillinge gingen mit. Der Pastor auch und schließlich er selbst, denn mit

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