Der Schatten im Wasser
geputzt. Britta kochte Kaffee und tischte Brot und Käse auf.
»Ein wenig Stärkung können wir doch gebrauchen, oder?«
Erst jetzt merkte Ariadne, wie hungrig sie war. Doch das Essen fiel ihr schwer, sie hatte Schwierigkeiten zu kauen. Es schmerzte in der Wurzelhöhle des herausgefallenen Zahnes, wo die Zunge immer wieder hinfuhr. Deshalb nahm sie nur kleine Stückchen, brach sie mit den Fingern ab und steckte sie schräg in den Mund. Britta betrachtete sie gedankenvoll.
»Meine Liebe«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
Ariadne hatte das Bedürfnis verspürt zu weinen, noch vor ein paar Stunden war sie immer wieder kurz davor gewesen und hatte schließlich auch die eine oder andere Träne vergossen. Doch jetzt war es vorbei. Nun fühlte es sich anders an, sie konnte es nicht erklären. Als hätte sich ein eiserner Ring um sie gelegt, der sie innerlich stützte.
»Danke für die Hilfe«, sagte sie.
Britta nickte. Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, hob sie erneut an:
»Ich habe gehört, dass Ulf mit Ihnen gesprochen hat.«
»|a, das stimmt.«
»Ihm geht es im Moment nicht so gut.«
»Ich weiß.«
Britta schnitt eine Scheibe Käse ab. Sie seufzte.
»Im Leben ist man weiß Gott nicht immer auf Rosen gebettet. Und wenn, dann haben sie oftmals reichlich Dornen.«
»Das ist ein schönes Bild.«
»Hm. Ja. Jedenfalls fühlt er sich heute ein bisschen besser, denn er hat Kontakt mit einer Klinik in den USA aufgenommen. Dort gibt es nämlich die wahren Experten.«
»Er wird also dort hinfahren?«
»Ja. Und dann werden wir ja hören, was sie sagen. Denn das, was hier nicht möglich ist, könnte ja woanders funktionieren. Man darf nur den Glauben nicht verlieren.«
»Ja.« Sie holte Luft.
»Und das Geld natürlich. Das Geld.«
»Mmm.«
»Er hat übrigens zwei seiner Hotels verkauft. Das wird er Ihnen aber bald selbst erzählen. Gestern hat er es klargemacht.«
»Ja, tatsächlich?«, fragte sie angespannt.
»Tja, nun hat er also nur noch dieses.«
»Zu uns sagte er, dass er alle Hotels verkaufen wird.«
»Wir werden sehen. Vielleicht wird es gar nicht notwendig sein. Wir werden sehen.«
Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie.
»Ich hoffe«, sagte sie.
Britta legte die Hände in den Schoß. Der Wind riss an einem frei hängenden Schild an der gegenüberliegenden Hausfassade, sodass es quietschte und klapperte. Der Herbst war nun endgültig da.
»Es sind ja immerhin die eigenen Kinder, und das werden sie auch immer bleiben. Wie erwachsen sie auch sein mögen. Ja, Sie wissen das, Sie haben ja selber eins.«
»Mmm.« Sie dachte an Christa, fragte sich, ob Tommy und sie bei diesem Wetter wohl tatsächlich nach Adelsö hinausgefahren waren.
»Wie geht es übrigens Ihrer Tochter?«, fragte Britta interessiert.
»Danke, gut.«
»Eins würde mich interessieren … ihre Behinderung. Haben Sie sich in dieser Sache zufällig in anderen Ländern Hilfe geholt?«
»Na ja … Es ist angeboren, der Schaden bestand sozusagen von Geburt an. Sie konnte von Anfang an nicht sehen.«
»Aha.«
»Sie sagen jedenfalls, dass man nichts machen kann.«
»Das sagen sie oft. Aber man sollte nicht alles glauben.«
Ariadne stand auf und räumte den Tisch ab.
»Ich muss leider los«, sagte sie. »Sie sind so nett, Britta, noch einmal danke für die Hilfe beim Putzen.«
Die Alte sah sie an, und ihr faltiges Gesicht strahlte Freundlichkeit aus.
»Ich hatte ja sowieso gerade nichts zu tun.«
»Ich werde die Daumen drücken für Ulf.«
»Ja, das werden wir beide tun. Wir drücken die Daumen!«
Es war zwei Uhr. Sie hatte noch fast eine ganze Stunde für sich. Sie hatte sich von Britta verabschiedet, die versprach, alle Türen hinter sich abzuschließen. Danach ging sie ziemlich schnell die Treppen hinunter und verließ das Hotel. Draußen vor der Tür setzte sie ihre Sonnenbrille auf. Es regnete zwar, doch das kümmerte sie nicht. Dafür, dass Samstag war, waren nicht besonders viele Leute unterwegs. Sie überquerte den Adolf-Fredrik-Friedhof, hielt kurz an Olof Palmes Grab inne und senkte den Kopf, machte einen flüchtigen Knicks und beeilte sich dann weiterzukommen. Der Regen rann ihr übers Gesicht. Christa. Hatte er daran gedacht, einen Regenmantel für sie mitzunehmen, falls sie nun tatsächlich in den Wald wollten? Sonst würde sie sich bestimmt erkälten. Sie war empfindlich, hatte schwache Bronchien. Er hatte es wie ein lustiges Abenteuer klingen lassen, das mit dem Wald, doch sie wusste, dass
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