Der Schatten im Wasser
so ein Projekt wie dieses startete? Langsam wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte, wie er es angehen sollte. Patent- oder Registeramt. Gab es nicht so etwas in der Art? Vage erinnerte er sich, dass Nathan von solchen Dingen gesprochen hatte, und sogar darüber, dass man Zuschüsse beantragen konnte. Warum hatte er nur nicht besser zugehört?
Zum ersten Mal in seinem Leben sah er ein, dass es sinnvoll gewesen sein könnte, die Schule zu Ende zu machen und nicht einfach nach dem zweiten Jahr in der Oberstufe abzuspringen. Nettan hatte getobt, sie war stinksauer gewesen. Doch das hatte ihn nur noch mehr ermüdet. Ich kann ja in ein paar Jahren weitermachen, hatte er gedacht. Auf dem zweiten Bildungsweg, falls ich Lust bekommen sollte. Aber zu dem Zeitpunkt hatte er alles, was mit Schule oder Unterricht zu tun hatte, so satt.
Geld musste er natürlich verdienen, und Kevin, der Bruder eines ehemaligen Klassenkameraden, ließ ihn manchmal in seiner Putzfirma arbeiten. Meistens musste er Fenster putzen, sodass er schließlich ein regelrechter Teufel im Fensterputzen wurde. Oft arbeitete er mit verschiedenen Typen aus Südamerika zusammen. Kleine, geduckte, schwarzäugige Jungs, die nie lange blieben, sondern ganz plötzlich wieder verschwunden waren. Sie hießen Juan oder Pepe und verstanden so gut wie kein Schwedisch. Er selbst hingegen schnappte zumindest ein paar spanische Worte auf, die man immer gebrauchen konnte. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit Cheap Trips.
Inzwischen war es schon eine Weile her, dass er etwas von Kevin gehört hatte. Er hatte mehrfach versucht, ihn auf seinem Handy zu erreichen, und ihm sogar einige Mitteilungen auf seine Mobilbox gesprochen, doch ohne Erfolg. Seine finanzielle Situation wurde langsam bedenklich.
Einmal, als Nettan bei der Arbeit war, nutzte er die Zeit, um im Internet eine Website von der Arbeitsvermittlung aufzurufen, auf der man herausfinden konnte, welcher Job zu einem passen könnte. Man musste 120 Fragen zu seinen persönlichen Vorlieben beantworten. Das Ergebnis seiner Angaben bildete eine Art Profil, das ihm riet, eine Ausbildung als biomedizinischer Analytiker, Laboringenieur oder Physiker zu beginnen. Verdammt! Das Ganze war nichts anderes als ein einziger blöder Witz.
An Nettans Geburtstag ging er hinunter in den Kleingarten und pflückte einen großen Strauß dunkelrosafarbener Fetthenne, den er in einer Vase auf den Wohnzimmertisch stellte. Sie entdeckte die Blumen sofort, als sie zur Tür hereinkam. Betrachtete sie zufrieden, aber misstrauisch.
»Oho! Was ist denn das?«
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Du bist doch 29 geworden, oder?«
»Ach! Jetzt mach aber mal halblang! Woher hast du die denn?«
»Ist doch egal.«
»Hast du sie etwa irgendwo geklaut?«
»Nein!«, antwortete er sauer. »Ich habe sie nicht geklaut!«
Sie streifte ihre kurzen, hochhackigen Stiefeletten ab und begann, ihre Füße zu massieren.
»Nun sag schon! Raus mit der Sprache.«
»Soll das hier etwa ein Verhör werden, nur weil man versucht, jemandem eine Freude zu machen!«
»Okay, okay, okay.«
Er hatte die erste Runde gewonnen.
Es war Freitagabend. Sie bereitete gebratene Schweinefilets zu und schenkte Wein ein. Das beunruhigte ihn ein wenig, denn der Wein konnte möglicherweise bewirken, dass der Abend total entgleiste. Man konnte nie wissen, wie sie reagierte, er nahm an, dass es mit ihrer Chemie zusammenhing. Biologische Faktoren. An den Tagen, bevor sie ihre Regel bekam, konnte sie angesichts der kleinsten Kleinigkeiten unglaublich rabiat werden, sodass er regelrecht Angst vor ihr bekam. Sie konnte sich auf ihn stürzen, ihn in den Magen boxen und ihm die Ohren verdrehen, bis es ihm endlich gelang, sie von sich zu schieben. Das war peinlich und unangenehm. Ebenso konnte sie aber auch schmollen und plötzlich haltlos anfangen zu weinen. Dann wiederum musste er alles daransetzen, sie zu trösten, ihr über die Punkfrisur streichen und ihr versichern, dass sie attraktiv und sexy und keineswegs alt war und jederzeit einen Typen treffen könnte, der sie wirklich liebte. Es gab ihn irgendwo da draußen, klar, dass es ihn gab. Es kam nur darauf an, ihn zu finden.
Wie dieser Abend sich gestalten würde, wusste er nicht.
Er half ihr, den Tisch zu decken, bearbeitete zwei Kerzen mit dem Messer, bis sie in die viel zu eng geratenen Glasständer passten, die sie von ihrer Geschäftspartnerin Katrin geschenkt bekommen hatte. Kramte auf ihr Geheiß weiße
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