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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Diener sich verbeugte und zurückzog. Als der Duke of Clarence die Augen wieder öffnete, lag darin jener glasige Ausdruck, den Sarah Kincaid auch in den Augen von Seeleuten in Shanghai und Singapur gesehen hatte.
    »Wo waren wir stehen geblieben?«, erkundigte sich der Duke zerstreut – dass es beim Fall des Whitechapel-Mörders um seine Reputation und Ehre ging, wenn nicht gar um das Wohl des gesamten Landes, schien ihn kaum zu kümmern. Möglicherweise, dachte Sarah, hat er den Ernst der Lage noch nicht einmal begriffen.
    »Der Ring, den Sie da tragen, Hoheit«, sagte sie, auf die linke Hand des Herzogs deutend. »Das ist ein sehr schönes Stück…«
    »Nicht wahr?« Der Duke hielt das Kleinod hoch. »Ich bin sehr stolz darauf, denn dieser Ring wurde mir von der Ägyptischen Liga verliehen, deren Mitglied und Ehrenvorsitzender ich bin – eine Versammlung herausragender Gentlemen, die sich der Enthüllung vergangener Mysterien verschrieben haben und gewissermaßen auch dafür Verantwortung tragen, dass Sie hier sind, Lady Kincaid. Der Ring stellt Kleopatras Nadel dar, die das Emblem und Wahrzeichen unserer Vereinigung ist. Kennen Sie Kleopatras Nadel, Lady Kincaid?«
    »Natürlich«, erwiderte Sarah prompt, »obgleich jenes Bauwerk, das auf halber Strecke zwischen der Waterloo Bridge und dem Bahnhof von Charing Cross steht, weder etwas mit einer Nadel noch mit Königin Kleopatra zu tun hat. Es ist vielmehr ein ägyptischer Obelisk, der aus der antiken Stadt Junu stammt und dessen Entstehung auf das Jahr 1500 vor Christi Geburt datiert wird. Der Obelisk war ein Geschenk von Muhammed Ali Pascha an Ihre Majestät die Königin.«
    »Das ist richtig.« Der Duke of Clarence nickte wohlwollend. »Sie sind außerordentlich gut informiert, Lady Kincaid. Aber wussten Sie auch, dass auf der Passage, die den Obelisken von Ägypten nach England brachte, sechs Matrosen ihr Leben ließen?«
    »Nein«, gab Sarah zu, »das wusste ich nicht.«
    »Es ist so«, bestätigte der Herzog. »Nicht wenige behaupten deshalb, ein Fluch laste auf dem Obelisken, und es gibt manche, die der Ansicht sind, er hätte den Sand der Wüste niemals verlassen dürfen.«
    »Derlei Aberglaube ist selbst in unseren modernen Zeiten weit verbreitet«, räumte Sarah ein. »Wie denken Sie darüber, Euer Hoheit?«
    »Wie ich darüber denke?« Der Herzog lächelte. »Ich denke, dass Wissenschaft und Fortschritt dazu da sind, Unwissen und finsteren Aberglauben ein für alle Mal vom Angesicht dieser Erde zu tilgen.«
    »Eine großartige Vision, in der Tat.« Sarah nickte. »Allerdings sieht die Realität oftmals anders aus. Nehmen Sie nur die Armenviertel dieser Stadt. Das Elend der Leute dort ist erdrückend, und noch immer gibt es viele, die weder lesen noch schreiben können.
    Finsterer Aberglaube und dunkle Gerüchte finden dort einen fruchtbaren Nährboden, besonders dann, wenn sich grausame Verbrechen ereignen und die Menschen in Angst und Schrecken leben…«
    »Lady Kincaid spielt auf die Morde in Whitechapel an«, fügte Inspector Quayle in weniger herausforderndem Tonfall hinzu. »Hoheit werden sich erinnern, dass sich zwischenzeitlich ein zweiter Mord im East End ereignet hat. Und leider werden die Stimmen derer, die hinter den Morden eine Verschwörung wittern, immer lauter.«
    »Eine Verschwörung.« Der Duke schnaubte. »Ist das alles, was diese armen Narren interessiert?«
    »Mit Verlaub, Euer Hoheit – die Lage ist ernst. Die Zahl derer, die in den Straßen des East End Hasstiraden auf das Königshaus schmettern, wird immer größer. Der Mörder muss umgehend gefunden werden.«
    »Dessen bin ich mir bewusst, Mr. Quayle. Aus diesem Grund haben wir ja nach Lady Kincaid schicken lassen – sie wird möglich machen, was den Beamten des Scotland Yard bislang nicht gelungen ist.«
    »Ich werde mein Möglichstes tun, Euer Hoheit«, versprach Sarah, »dennoch möchte ich anmerken, dass ich keine Kriminologin bin. Die Archäologie ist das Feld, auf dem ich normalerweise arbeite…«
    »… und sie ist es auch, die den Schlüssel zur Lösung dieses Falles birgt«, fiel der Duke ihr barsch ins Wort. »Sehen Sie denn nicht, wie alles zusammenhängt?«
    »Wie alles zusammenhängt? Wovon sprechen Sie?«
    »Ich spreche hiervon.« Der königliche Enkel hob seine beringte Hand. »Von der Nadel der Kleopatra und von den sechs Männern, die damals ihr Leben ließen. Die Geschichte wiederholt sich, Sarah, können Sie das nicht erkennen?«
    »Die Geschichte

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