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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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auf deine Fähigkeiten vertraut, wie du weißt, und du stehst noch in seiner Schuld – oder muss ich dich an Paris erinnern?«
    »Non, das musst du nicht«, verneinte der Franzose. »Aber bitte sage mir, wie ich in jemandes Schuld stehen kann, der nicht mehr am Leben ist.«
    »Sehr einfach, mein Freund – Gardiner Kincaid hatte eine Tochter, und du genießt das Privileg, deine Schulden bei ihr abzutragen.«
    »Ist das wahr?« Du Gard schnaubte wie ein Stier. »Ich wusste gar nicht, was ich für ein Glückspilz bin.«
    »Jetzt weißt du es. Also, wie steht es? Wirst du mir helfen?«
    »Wobei?«
    »Es geht um die Klärung eines Rätsels.«
    »Eines Rätsels? Klingt sehr geheimnisvoll in meinen Ohren. Wie es aussieht, hast du dich nicht verändert, Kincaid.«
    »Täusche dich nicht – ich bin nicht mehr das naive Ding, das ich einst gewesen bin, und was immer einmal zwischen uns gewesen ist, gehört endgültig der Vergangenheit an. Was ich dir anbiete, ist ein gut bezahlter Auftrag, der dich aus all dem hier« – sie machte eine Handbewegung, die die Kellerspelunke, die Princelet Street und das ganze Londoner East End einzuschließen schien – »herausholen könnte.«
    »Wer sagt, dass ich herausgeholt werden will? Ich für meinen Teil fühle mich ausgesprochen wohl hier. Die Gegend ist wie geschaffen für die Drachenjagd, wenn du verstehst.«
    »Ich verstehe durchaus«, versicherte Sarah bitter. »Sieh nur, was aus dir geworden ist! Weshalb hast du dich hier verkrochen? Warum hast du alles aufgegeben, was du…«
    »Ich bin nicht der Einzige, der sich verkrochen hat, Kincaid«, fiel du Gard ihr barsch ins Wort. »Oder wie würdest du das nennen, was du nach dem Tod deines Vaters getan hast?«
    »Ich habe mich zurückgezogen, um mich in Ruhe meinen Forschungen widmen zu können.«
    »Nonsens! Du bist davongelaufen, weil du nicht ertragen konntest, was geschehen war, ist es nicht so?« Er blickte sie herausfordernd an. »Wie es aussieht, haben wir wohl doch noch einige Dinge gemeinsam, n’est pas?«
    »Wie auch immer, du Gard«, konterte sie leise, sich mühsam zur Ruhe zwingend. »Ich bin zurückgekehrt, um mich dem Leben zu stellen. Und was ist mit dir?«
    Eine ganze Weile lang entgegnete der Franzose nichts, und Sarah und er schienen sich mit Blicken niederringen zu wollen. Dann, ganz unerwartet, gab du Gard den Kampf auf, und ein Lächeln huschte über seine schalkhaften Züge.
    »D’accord, Kincaid«, meinte er, während er in die Innentasche seines bunten Rocks griff und einen Stapel Tarot-Karten zutage förderte. »Du hast mal wieder gewonnen. Maurice du Gard steht zu deinen Diensten.«
    »Danke«, entgegnete Sarah und gab sich Mühe, ihre Erleichterung zu verbergen, »aber die Karten werden wir nicht brauchen.«
    »Non?« Er schien verwundert. »Womit kann ich dann dienen?«
    »Mit der Wahrheit, Maurice. Mit der Wahrheit…«
     
     
    Der Name des Pub lautete Ten Bells.
    An der Kreuzung von Fournier und Commercial Street gelegen, war das Lokal am Abend ein Treffpunkt für Spieler, Betrunkene und Huren des gesamten Viertels. Tagsüber war das Ten Bells einer jener Orte, wo man für wenig Geld eine sättigende Mahlzeit bekommen konnte, dazu Unmengen von gepanschtem Gin.
    Natürlich schickte es sich für eine Lady nicht, in einem Lokal wie diesem zu verkehren, aber Sarah Kincaid hatte sich nie sehr um das geschert, was ihrem Stand zukam – und Maurice du Gard schien sich in der Gesellschaft von Tagelöhnern und Betrunkenen rundum wohl zu fühlen. Das wahre, pralle Leben nannte er das.
    Blass und ausgemergelt, wie er war, stürzte er sich auf das Essen, das Sarah ihm spendierte und das aus Hammelfleisch, Bohnen und Brot bestand – das Geld, das du Gard durch seine Arbeit verdiente, verwendete er vor allem auf die Drachenjagd, sodass zum Leben – und vor allem zum Essen – nicht mehr viel übrig blieb.
    Du Gards Talente waren vielfältig.
    Wahrsager, Kartenleger, Geisterseher – all diese Bezeichnungen trafen auf in zu und auch wieder nicht. Ein Medium war er für die einen, ein windiger Betrüger für die anderen. Obwohl du Gard gebürtiger Franzose war, hatte er den größten Teil seines Lebens in New Orleans verbracht, wo er in die Geheimnisse des Tarots und anderer geheimnisvoller Künste eingeweiht worden war. Sarah hatte von derlei Dingen nie viel gehalten, aber die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gab, als sich mit bloßem Verstand erklären ließ. Zudem hatte ihr

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