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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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halte Ausschau«, fuhr er fort. »Was ich sehe, ist noch nicht geschehen und… mon dieu! Er kommt. Ich fühle seine Gegenwart. Le meurtrier! Der Mörder ist unterwegs. Sein Schatten ist lang und dunkel, und wohin auch immer er fällt, verbreitet er Tod und Verderben. Ich spüre seine Nähe… Er reist in einer schwarzen Kutsche. Der Kutscher ist vermummt, sodass man ihn nicht erkennen kann, sein Herr nur ein Schatten, der ihm folgt.«
    Sarah räusperte sich leise, um sich von dem Kloß in ihrer Kehle zu befreien. Die Luft in der Dachkammer kam ihr plötzlich unerträglich stickig vor.
    »Jetzt kann ich die Kutsche aus der Nähe sehen… Auf der Tür trägt sie ein Wappenzeichen… Löwen. Ich sehe drei Löwen…«
    Sarah biss sich auf die Lippen. Das königliche Wappensiegel trug drei übereinander angeordnete Löwen als Zeichen der Macht – bloßer Zufall oder ein möglicher Hinweis auf den Täter?
    »Die Kutsche fährt schnell, sehr schnell. Der Kutscher benutzt die Peitsche. Die Zeit drängt, noch heute Nacht wird es geschehen. Es wird ein weiteres Opfer geben, noch heute Nacht – und die Morde von Whitechapel sind nur der Anfang. Der dunkle Schatten wird über uns kommen, mächtig wie vor Tausenden von Jahren. Lange schon wandelt das Phantom unter uns, aber nun ist seine Zeit gekommen, sich zu offenbaren. Niemand kann es aufhalten, niemand… mon dieu, c’est horrible … Ich sehe einen Koffer, gefüllt mit tödlichem Stahl, und ich sehe Blut, überall Blut… ein Zeichen an der Wand!«
    Du Gards Stimme war lauter geworden. Sarah konnte spüren, wie seine Hände zitterten.
    »Blut, überall Blut«, wiederholte du Gard. Die Panik in seiner Stimme war jetzt unverkennbar. »Das Böse ist seit Tausenden von Jahren unter uns! Es will Macht, absolute Macht, und wir können es nicht aufhalten! Wir müssen… Non! Non! Ne pas moi …!«
    Die letzten Worte hatte du Gard laut geschrien. Es war nicht mehr nur ein Anflug von Panik, es war nackte Todesangst. Schweiß war ihm auf die Stirn getreten, und er drückte Sarahs Hände so fest, dass es sie schmerzte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Sarah an, aber er schien sie nicht zu sehen – vielmehr hatte es den Anschein, als fände er nicht mehr aus der Höhle des Drachen heraus, in die er sich so leichtfertig gewagt hatte. Sein Atem stockte und ging nur noch stoßweise, seine Brust hob und senkte sich krampfhaft.
    »Maurice!«, rief Sarah laut. »Maurice, wach auf!«
    »Pas moi, créature misérable! Retourne d’où tu es venu… «
    »Maurice! Du musst aufwachen, hörst du?«
    »Va-ten! Va-ten! …« Er riss sich von ihr los und ruderte wild mit den Armen, machte abwehrende Handbewegungen in Richtung eines unsichtbaren Gegners. »Laisse-moi tranquille, monstre! Laisse-moi tranquille… !«
    »Verdammt, du Gard! Wach endlich auf!« Sarah, die aufgesprungen und um den Tisch geeilt war, legte ihre ganze Autorität in ihre Stimme. Als selbst das nichts zu helfen schien, schlug sie zu.
    Ihre Hand klatschte in du Gards ausgemergeltes Gesicht, und wie zuvor in der Opiumhöhle brachte der Schmerz den Franzosen auch dieses Mal zu Bewusstsein.
    Er verstummte und hielt in seinen Zuckungen inne, und etwas in seinem Blick veränderte sich. Einen Moment lang schien er weder zu wissen, wer er war, noch wo er sich befand. Dann kehrte die Erinnerung zu ihm zurück, und er stöhnte leise. Der entsetzte Ausdruck in seinem Gesicht blieb.
    »Du Gard?«, fragte Sarah. »Alles in Ordnung?«
    »Moi … Ich denke schon…«
    »Was hast du gesehen, du Gard?«
    »Was meinst du?«
    »Was hast du zuletzt gesehen?«, fragte Sarah noch einmal.
    »Rien«, erklärte der Franzose flüsternd. »Nichts, Sarah.«
    »Nichts? Aber du hast laut geschrien!«
    »Da war nichts«, beharrte du Gard. Der Blick, mit dem er sie dabei bedachte, war eindringlich, aber Sarah hatte dennoch den Eindruck, dass er etwas vor ihr verbarg.
    »Du Gard, ich muss es wissen«, drängte sie. »Was hast du gesehen? Was hat dich so in Panik versetzt?«
    »Ich kann es dir nicht sagen, Sarah.«
    »Kannst du nicht oder willst du nicht?«
    Der Franzose starrte sie nur an, antwortete jedoch nicht.
    »Es war etwas Schreckliches, nicht wahr?«, fragte sie leise, und für einen Augenblick schien du Gard tatsächlich antworten zu wollen. Er holte tief Luft – als von der Straße plötzlich der schrille Ton von Trillerpfeifen in die Kammer drang.
    Pfeifen, wie die Constables sie benutzten…
    »Was ist da draußen los?«
    Sarah wollte

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