Der Schatten von Thot
konnte, griff der Alte sicher nach einer Teekanne, die neben ihm stand, und füllte damit einen Becher aus Ton, den er Sarah reichte. Sie bedankte sich und trank in kleinen Schlucken, schmeckte die angenehme Schärfe der Pfefferminze, gefolgt von der Süße des Zuckers. Endlich brach Ammon el-Hakim sein Schweigen.
»Was willst du wissen, Sarah?«, erkundigte er sich. »Es ist lange her…«
»Ich weiß.« Sarah nickte. »Und viel ist seither geschehen, Meister. Der Duft von Lavendelblüten mag mich noch immer begleiten, aber ich bin nicht mehr dieselbe. Mein Vater…« Sie unterbrach sich und blickte zu Boden, die Worte wollten ihr nicht über die Lippen. »Vater ist tot«, erklärte sie schließlich mit bebender Stimme, »und ich habe es an seiner statt übernommen, nach den Geheimnissen der Vergangenheit zu forschen.«
»Ein weiser Entschluss«, erkannte der Alte lächelnd an. »Es ist deine Bestimmung.«
»Vielleicht«, räumte Sarah ein. »Die Suche nach einem solchen Geheimnis ist es, die mich zu Euch geführt hat, Meister.«
»Ich verstehe.« Ammon nickte. »Und was für einem Geheimnis bist du auf der Spur?«
»Dem Buch von Thot«, erklärte Sarah rundheraus. »Ich muss wissen, wo es sich befindet.«
Jäh verschwand das Lächeln aus dem Gesicht des Weisen, und seine Züge wurden ernst und streng.
»Misch kwayyes«, sagte er leise. »Das ist nicht gut…«
Aufgrund der Warnungen, die man ihm hatte zukommen lassen, hatte Milton Fox sich bis zum Einbruch der Dunkelheit vom Alkohol ferngehalten. Schließlich jedoch hielt ihn nichts mehr, und in der Überzeugung, den Staub der Straßen Kairos mit einem Schluck handfester Zivilisation hinwegspülen zu müssen, wurde er am Tresen der Bar des Shepheard’s vorstellig. Er bestellte sich einen Scotch, der freilich weder die rechte Temperatur besaß noch die rechte Lagerung erfahren hatte und deshalb nur sehr bedingt zu genießen war – entsprechend sauertöpfisch blickte der Inspector von Scotland Yard drein, als sich Maurice du Gard und Stuart Hayden in der Bar einfanden und sich zu ihm gesellten.
»Quoi? Was ist das, werter Inspector?«, fragte du Gard grinsend. »Sollte Ihnen der Geschmack an den Segnungen britischer Kultur verloren gegangen sein?«
»Spotten Sie nur, du Gard«, knurrte Fox. »Sie haben leicht reden – Ihr Scotch ist es ja nicht, der so schmeckt, als hätte ein Kamel ihn in einen Eimer gep…«
»Kein Grund, ausfallend zu werden«, wies der Franzose ihn zurecht, ehe der Inspector das unflätige Wort aussprechen konnte. »Gin und Ale gibt es hier nicht – die Einheimischen pflegen Tee oder Kaffee zu trinken. Und lautet eines Ihrer englischen Sprichwörter nicht: Bist du in Rom, mach’s wie die Römer?«
»Was Sie nicht sagen.«
»In der Tat«, pflichtete Hayden du Gard bei. »Die Araber pflegen ihren Kaffee stark gesüßt zu trinken und dazu noch mit exotischen Gewürzen zu versetzen. Und was sie mit Tee anzurichten pflegen, darüber will ich erst gar kein Wort verlieren.«
»Sie mögen Ägypten nicht besonders, was, Captain?«, fragte du Gard.
Hayden lachte freudlos auf. »Was gibt es daran zu mögen? Es ist ein heißer, trockener Klumpen Erde, dessen große Zeit vor über tausend Jahren zu Ende gegangen ist. Die Zukunft gehört dem britischen Empire, daran dürfte kein Zweifel bestehen.«
»Seien Sie sich da nicht so sicher, mon capitaine« , warnte du Gard. »Kein irdisches Reich währt ewig – auch nicht das Ihre.«
»Und das sagen ausgerechnet Sie? Ein Franzose? Wollte Ihr Napoleon nicht ein Kaiserreich nach römischem Vorbild errichten, das ebenso lange Bestand haben sollte?«
»Er war verrückt«, erklärte du Gard schlicht. »Jemand, der klaren Verstandes ist, muss erkennen, dass nichts, das durch Krieg und Eroberung gewonnen wird, lange von Bestand sein kann.«
»Ist das Ihr Ernst?« Hayden und Fox tauschten einen amüsierten Blick.
»Allerdings, messieurs.«
»Natürlich.« Hayden nickte. »Typisch für einen Franzosen. Auch ihre große Zeit ist vorüber, und sie blicken neidvoll auf das, was England erreicht hat.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Das ist doch offensichtlich. Frankreich ist eine geschlagene Nation, die nur noch von ihrer ruhmreichen Vergangenheit lebt. Wir hingegen nennen ein Weltreich unser Eigen, wie es in der Geschichte der Menschheit noch keines gab. Es wird auch noch Bestand haben, wenn alles andere längst vergangen ist.«
»Darauf trinke ich«, stimmte Fox zu und stand auf, wenn auch auf
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