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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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leid, mein Freund…«
    Tränen der Trauer und des Entsetzens schossen Sarah in die Augen, und für einige Momente war sie unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Dann jedoch zwang sie sich zur Ruhe. Immerhin mochte sich der Täter noch immer in der Nähe herumtreiben. Mit tränengeröteten Augen blickte Sarah auf, schaute hinüber zur Kutsche – und sah, dass Kamal verschwunden war. Der Kutscher kauerte noch immer auf seinem Gefährt und wartete, aber von dem ägyptischen Führer war weit und breit nichts zu sehen…
    »Oh nein…«
    Die Erkenntnis traf Sarah Kincaid mit furchtbarer Wucht. Kein anderer als Kamal war der Verräter, vor dem der alte Ammon sie eben noch gewarnt hatte, freilich ohne zu wissen, dass der Verrat seinen Diener bereits das Leben gekostet hatte!
    Im nächsten Moment überkam sie ein anderer, noch schrecklicherer Gedanke. Sie packte den blutigen Griff von Keshs Dolch, riss ihn aus der Schärpe des ermordeten Dieners, sprang auf und rannte die Stufen des Portals empor, zurück zum Turm.
    »Kamal!«, brüllte sie dabei aus Leibeskräften, schrie ihre Trauer und ihre Wut hinaus in die Nacht.
    Mit fliegenden Schritten durchmaß sie die Eingangskammer und erreichte die Treppe, stürzte die steinernen Stufen hinauf, die sich steil nach oben wanden – und konnte schon auf halber Strecke gedämpfte Schreie hören. Sarah rannte, so schnell ihr Kleid und die elende Korsage es zuließen.
    Warum nur, fragte sie sich, hatte sie nicht gleich daran gedacht? Indem er Kesh getötet hatte, hatte sich sein Mörder Zugang zum Turm verschafft. In einer der Kammern auf den Zwischenetagen hatte er sich versteckt, um hervorzukommen, sobald Sarah gegangen war – und nach dem Diener auch noch dessen Herrn zu töten…
    »Kamal«, stieß Sarah zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Ihre Züge waren verzerrt vor Wut, Wut, die ihre Schritte beflügelte und dafür sorgte, dass sie schon im nächsten Moment die Turmkammer erreichte. Der Vorhang war halb herab gerissen. Atemlos stürmte Sarah hindurch – und sah, dass der alte Ammon el-Hakim noch am Leben war!
    Aber seine Lage war verzweifelt.
    Ein Mann, der einen schwarzen Kaftan und einen schwarzen Burnus trug und dessen Gesicht so verhüllt war, dass nur ein stechendes Augenpaar zu sehen war, stand über dem Alten, die blutige Klinge zum Stoß erhoben – Ammon kauerte ihm zu Füßen, seine blinden Augen flehten um Gnade. »Bitte«, hauchte er, »ich habe dir nichts getan…«
    »Halt!«, rief Sarah mit lauter Stimme. »Lass ihn in Ruhe, du Bastard!«
    Der Vermummte fuhr herum. Wenn Sarah bezweckt hatte, dass er von Ammon abließ, so hatte sie ihr Ziel erreicht – dafür war sie nun selbst in Bedrängnis.
    Der Mund unter dem schwarzen Tuch ließ ein verächtliches Lachen vernehmen, die dunklen Augen starrten in unverhohlenem Spott. Sarah schluckte den Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, und trat dem Mörder beherzt entgegen. Keshs Dolch hielt sie dabei abwehrend vor sich, den Arm angewinkelt, wie die Beduinen es zu tun pflegten.
    Der Vermummte lachte noch immer – aber zu Sarahs Verblüffung griff er nicht an.
    »Komm schon, worauf wartest du?«, zischte sie auf Arabisch. »Oder verstehst du nur, aus dem Hinterhalt zu morden, du Sohn einer räudigen Hündin?«
    Hätte ein Mann diese Worte gesprochen, wären sie nur eine Provokation gewesen – aus dem Mund einer Frau waren sie eine tödliche Beleidigung. Die Augen des Attentäters verengten sich zu schmalen Schlitzen, aber noch immer griff er nicht an, gerade so, als würde ein höherer Befehl ihn daran hindern.
    »Was ist?«, reizte Sarah ihn weiter, während sie einander lauernd umkreisten. »Zögerst du, weil ich eine Frau bin? Sei unbesorgt – ich habe gelernt, mit dem Dolch umzugehen. Die es mir beibrachten, hatten mehr Mut als du…«
    Sie machte einen Schritt nach vorn und stellte verblüfft fest, dass der Vermummte vor ihr zurückwich, bis zur Treppe, die nach unten führte. In den Augenwinkeln des Mannes zuckte es. In einem jähen Entschluss wollte er sich zur Flucht wenden – aber er kam nicht dazu. Stattdessen stand der Vermummte plötzlich wie vom Donner gerührt.
    Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle, und er breitete die Arme aus. Seinen Dolch ließ er fallen, und seine Augen nahmen einen ungläubigen, entsetzten Ausdruck an. Im nächsten Moment kippte der Vermummte nach vorn und schlug auf den Boden, wo er reglos liegen blieb. Hinter ihm, im Aufgang der Treppe,

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