Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
nächsten Moment wieder aufgeschreckt aufzuflattern, sobald sich ein anderes Boot näherte.
    An den Piers von Gizeh herrschte an diesem Morgen rege Betriebsamkeit. Schiffe und Boote, die im Hafen festgemacht hatten, wurden beladen; Lastkamele und Eselskarren drängten sich am Kai und machten Trägern und Bettlern den Platz streitig, und nicht selten kam es zu lautstarken Auseinandersetzungen. Heisere Beschimpfungen wurden gebrüllt, und hier und dort versuchten fliegende Händler, noch rasch ein Geschäft abzuschließen. Trinkwasser und Datteln wurden feilgeboten, aber auch Fladenbrot sowie gegarter Fisch und Hammelfleisch. Einige Händler boten sogar kleine Pyramiden und gefälschte antike Talismane als Reiseandenken für wohlhabende Europäer an.
    Sarah Kincaid sah es mit Verachtung. In ihren Augen war Ägypten ein Land, das allen Grund hatte, stolz auf seine Vergangenheit zu sein – auf diese schnöde Weise aus ihr Profit zu schlagen, war ihrer Geschichte nicht würdig. Aber die meisten Passagiere, die an Bord der Egypt Star gingen, waren wohl anderer Ansicht…
    »Nun, habe ich zu viel versprochen?«, fragte Sir Jeffrey, als sie aus dem Gebäude der Hafenabfertigung traten, das wenig mehr als eine Holzhütte war, in der ein von Hitze und Staub vertrockneter Beamter seinen Dienst versah. »Wie man mir versicherte, ist die Egypt Star eines der besten Schiffe, die derzeit auf dem Nil verkehren.«
    »Allerdings, Sir«, stimmte Milton Fox begeistert zu. »Dieses Schiff ist ein wunderbares Beispiel britischer Ingenieurskunst.«
    In der Tat war der Dampfer, der am Kai vor Anker lag, eindrucksvoll anzusehen. Mit breitem Deck und geringem Tiefgang war er für Fahrten auf dem Fluss konstruiert, und seine eleganten dreistöckigen Aufbauten, über denen sich das Führerhaus des Kapitäns und der hohe Schornstein erhoben, wirkten wie ein Bollwerk britischer Kultiviertheit inmitten von Hitze, Lärm und Staub. Angetrieben wurde das Schiff von einem großen Schaufelrad an seinem Heck.
    »Bien, das ist ja fast wie zu Hause am Mississippi«, kommentierte du Gard erfreut. »Man fühlt sich hier richtig heimisch.«
    »Wenn man ein von Fliegen verseuchtes Schmutzloch seine Heimat nennt, dann vielleicht«, kommentierte Captain Hayden geringschätzig. Das um seinen Offiziershelm gewickelte Moskitonetz hatte er herabgelassen, um sich vor den lästigen Insekten zu schützen, vor denen es in Ufernähe wimmelte.
    »Sind Sie denn je in New Orleans gewesen?«, erkundigte sich du Gard herausfordernd.
    »Nein.« Hayden schüttelte den Kopf. »Was ich davon gehört habe, genügt mir vollkommen.«
    »Dann will ich hoffen, Captain«, bemerkte Sarah, »dass Ihre Kenntnisse, dieses Land hier betreffend, weniger lückenhaft und von Vorurteilen geprägt sind als in Bezug auf den Süden der Vereinigten Staaten.«
    Damit ließ sie den Offizier kurzerhand stehen und betrat die Gangway, die auf das Hauptdeck des Dampfers führte, gefolgt von du Gard, Sir Jeffrey und Milton Fox. Der verblüffte Hayden blieb zurück, um einige Worte mit Lieutenant Farnsworth zu wechseln, seinem Stellvertreter, der den Trupp in seiner Abwesenheit befehligen würde. Acht seiner besten Männer hatte Hayden ausgewählt, um die Expedition zu begleiten – mehr hatte Sarah Kincaid ihm nicht zugestehen wollen, weil sie die Gruppe möglichst klein und unauffällig halten wollte. Zusammen mit den einheimischen Arbeitskräften, die in Tehna el-Gebel auf sie warteten, würde die Expedition ohnehin eine ansehnliche Größe bekommen. Kamal, für den Sir Jeffrey ein Ticket der dritten Klasse gelöst hatte, hatte seine Beziehungen zur örtlichen Karawanserei spielen lassen, um alles vorzubereiten.
    Sarah und ihre Begleiter waren keineswegs die ersten Passagiere, die sich auf der Egypt Star einfanden; zahlreiche Reisende drängten sich auf dem Promenadendeck, zumeist Engländer, aber auch Franzosen und türkische Händler, die stromaufwärts Geschäfte zu erledigen hatten. Die Männer trugen meist khakifarbene Anzüge und Tropenhelme, die denen der Soldaten nicht unähnlich waren; die Damen helle Kleider, die sie trotz der drückenden Hitze hochgeschlossen hatten und deren Korsette und engen Kragen die Besitzerinnen fast zu ersticken drohten. Gewaltige Hüte, groß wie Wagenräder, spendeten immerhin Schatten, und die meisten Frauen hatten zudem kleine Schirme bei sich, mit denen sie sich vor den sengenden Strahlen der Sonne zu schützen hofften. Auch Sarah hatte sich in eines der

Weitere Kostenlose Bücher