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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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Elemente sorgten für einen spektakulären letzten Sonnenuntergang. Von der Höhe des Kundschafterturms hatte es den Anschein, als versänke die Sonne langsam in den trüben Wolken, die sich über dem See zusammengezogen hatten, und sie verwandelte das graue Leichentuch in eine glanzvolle Robe aus flammendem Purpur, wie für einen König geschaffen. Ein prächtiger Abschied für einen Verdammten, dachte Amaurn bitter. Nur damit es mir wirklich Leid tut, nie wieder einen verdammten Sonnenuntergang zu sehen. Ein letztes Morgengrauen ist alles, was mir bleibt. Es sei denn, ich habe das Glück, noch den ersten Sonnenstrahl zu erhaschen, bevor sie mich hinrichten.
    Wenigstens hatte er es geschafft, Cergorn und den übrigen rückgratlosen Speichelleckern ein paar Unannehmlichkeiten zu bereiten. Da es sonst kein Gebäude gab, das als Gefängnis dienen konnte, waren die Wissenshüter gezwungen gewesen, die Horcher aus dem Kundschafterturm zu entfernen und stattdessen ihren Gefangenen dort unterzubringen, und zwar mit genügend Wachen vor dem einzigen Eingang, um selbst einen wütenden Feuerdrachen noch aufzuhalten. Es hatte durchaus Vorteile, in diesem Turm eingesperrt zu sein. Das runde Turmzimmer, dessen vier Fenster nach den vier Himmelsrichtungen zeigten, bot einen luftigen, offenen Ausblick, sodass er sich nicht wie im Kerker fühlte. Weil sich hier normalerweise die Horcher aufhielten, die ihren Geist unausgesetzt empfänglich erhalten mussten, damit ihnen auch nicht der schwächste telepathische Ruf entginge, war der Raum warm und äußerst behaglich. Es gab einen großen Kamin, ein schwerer Vorhang vor der Treppe hielt die Zugluft ab, dicke Teppiche aus Brokat verdeckten den nackten Stein an Wand und Boden, ein Tisch stand da, an dem man schreiben und essen konnte, und bequeme Sessel und Sofas, die ausschließlich der Entspannung dienten.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Cergorn ahnt, wie es hier oben aussieht, dachte Amaurn anzüglich. Er hätte sonst sicher die Wandbehänge heruntergerissen und die Sessel aus dem Fenster geworfen, damit ich auf dem kalten Stein schlafen muss. Glücklicherweise war der Turm hoch und schmal, und der Raum seiner Gefangenschaft war nur über eine tückische steile Wendeltreppe erreichbar. Für Cergorn mit seinen Hufen und dem mächtigen Rumpf eines Schiachtrosses war es unmöglich, den Aufstieg zu bewältigen. So bleibt mir auch weitere Verachtung und Verurteilung seitens des Archimandriten erspart, dachte Amaurn – ganz zu schweigen von den endlosen rechtschaffenen Vorträgen darüber, dass man die unglücklichen Bewohner dieser Welt vor ihrem angeborenen Hang zur Selbstzerstörung zu bewahren habe.
    Als die Sonne von den Wolken ausgelöscht war und sich die Dämmerung in das Tal geschlichen hatte, trat Amaurn vom Fenster zurück, legte ein, zwei Scheite aufs Feuer und zündete die Kerzen an. Man hatte ihm kürzlich das Abendessen gebracht, und er deckte die Schüsseln auf. Da stand nun Suppe, geräucherte Forelle, gebratene Gans mit Gemüsen, Waldbeeren in Wein und ein großzügiges Stück Käse. Amaurn machte sich über das Essen her. In Anlehnung an eine Tradition, die so alt war wie die Welt selbst, glich sein letztes Mahl einem Festessen, und er sah keinen Sinn darin, etwas so Gutes zu vergeuden. Außerdem war es ihm unmöglich, so kurz seine Zukunft auch erscheinen mochte, die Hoffnung vollkommen aufzugeben. Sein eigener Tod war ihm unvorstellbar, und so würde es auch bleiben, das wusste er, und zwar bis zum letzten Atemzug. Falls er durch irgendein Wunder in der Nacht entkommen konnte oder gegen alle Wahrscheinlichkeit gerettet wurde, dann wäre es nicht gut, einen leeren Magen zu haben.
    Amaurn musste über seine Torheit laut lachen. Dem Tod geweiht und noch an Essen und Rettung denken! Nun gut, vielleicht war das so bei allen Verurteilten. Er kostete den Wein und fragte sich, warum man solch rare Köstlichkeit an einen Menschen verschwendete, den man schon ein paar Stunden später töten wollte. Mit einem Achselzucken hob er den Kelch und brachte einen stillen Toast auf Aveole aus – der Einzigen, die ihn wirklich verstand und der er nicht gleichgültig war. Woran dachte sie in dieser Nacht? Wenn der Turm das Einzige in Gendival war, das zum Gefängnis taugte, wo hatte Cergorn dann sie untergebracht? Aus Grausamkeit hatte man sie hergeholt, damit sie Zeuge werde, wie ihrem Liebsten die letzte Demütigung angetan wurde. Er wusste nur noch Weniges von dem Prozess, aber

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