Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Dämon, Zavahl. Spricht er mit dir?«
Der Hierarch nickte. »Er nennt mich einen Narren. Er will nicht, dass ich mit dir spreche. In der Nacht sagte er, ich solle der Frau vertrauen.«
Ein kaltes Lächeln breitete sich über Blanks Gesicht aus. »Gut, gut. Wer hätte das für möglich gehalten! Das also ist mit dir geschehen, Drache. Du kannst dich, wenn nötig, in einen Menschen übertragen. So habe ich also zwei Gefangene zu dem Preis von einem.«
Aethon selbst hatte Amaurn nie gesehen, aber er trug die Erinnerungen der Seherin Chahala in sich, die seine Vorgängerin gewesen war und am Prozess gegen den Abtrünnigen teilgenommen hatte. Doch zu seiner Überraschung zeichnete diese Erinnerung Amaurn nicht als den finsteren Schurken, den der Schattenbund in ihm sah, sondern als einen auf traurige Weise fehlgeleiteten, ungestümen jungen Mann, dessen Hinrichtung, wenngleich notwendig, einen tragischen Verlust bedeutete.
Plötzliche Schmerzen rissen den Seher aus seinen Gedanken, denn Blank ergriff mit einer Hand Zavahls Gesicht und grub die Finger tief ein. Er blickte ihm in die Augen und sagte: »Ich will mit deinem Dämon sprechen, Zavahl. Jetzt. Ich werde ein paar Fragen stellen, und du wirst mir sagen, was er antwortet. Hast du verstanden?«
»Nein! Ich werde nicht mit ihm sprechen! Sag ihm das!«
Aethon spürte Zavahls Angst, als er die Botschaft weitergab. Blanks Gesicht wurde vollkommen ausdruckslos, und die beiden Wesen, die so unterschiedlich waren und denselben Körper teilten, empfanden dieselbe kalte Furcht.
Als der Hauptmann wieder zu sprechen anfing, war seine Stimme sehr sanft. »Du scheinst mir völlig vergessen zu haben, Drache, dass du nun ebenfalls in diesem Körper wohnst. Wenn Zavahl Schmerzen erleidet, dann auch du – und ich vermute, dass diese schwache menschliche Daseinsform dir eine Erklärung dieses Wortes mit all ihren Konsequenzen beschert. Ich möchte dich außerdem daran erinnern, dass du dich aus dieser Lage nicht befreien kannst. Wenn dieser Körper stirbt, vergehst du mit ihm. Du musst doch einige Bedeutung im Drachenvolk haben, dass du mit einem Hüter des Wissens auf Reisen bist. Sicherlich resultiert daraus auch die Verantwortung, so weit wie möglich am Leben zu bleiben?«
»Hältst du mich für einen Narren? Ich weiß, dass du diesen Menschen bei Sonnenuntergang töten wirst, ganz gleich ob ich dir antworte oder nicht!«
»Nein!«, schrie der Hierarch. »Das kann ich ihm nicht sagen! Der Dämon will dir nicht antworten, Blank. Er will nicht.«
Blank ließ Zavahl los und griff nach der Kerze, die neben dem Bett stand. Er hielt sie ihm so nah vor das Gesicht, dass der Rauch Zavahl in die Augen stieg und die Hitze ihm die Haut rötete. »Um deinetwillen sollte er sich eines Besseren besinnen«, erwiderte Blank kalt. »Bevor ich Schritte zu seiner Sinnesänderung unternehme.«
Thirishri war Blank in den Raum gefolgt und lauschte dem Gespräch mit wachsendem Entsetzen. Sie hatte zuerst die Soldaten in der Mühle gezählt und dann eine Luke im Dach des Hauses gefunden, wo zwei Schindeln fehlten – und als sie dann den Bewohner des Dachbodens erkannte, war sie so entsetzt gewesen, dass sie sich beinahe verraten hätte.
Amaurn! Nach all den Jahren stellte sich heraus, dass der Abtrünnige, der am Vorabend seiner Hinrichtung auf rätselhafte Weise verschwunden war, sich direkt vor Gendivals Haustür versteckt hatte. Kein Wunder, dass in diesem Land alles auseinander bricht, dachte sie bitter. Dieses Ungeheuer verbreitet Unglück und Zwietracht, wo immer es auftaucht. Ihr erster Gedanke war, Cergorn zu benachrichtigen. Doch auf diese Entfernung wäre sie gezwungen gewesen, eine sehr starke telepathische Verbindung herzustellen, bei der es unmöglich war, die Gedanken abzuschirmen – und dadurch hätte sie Amaurn ihre Gegenwart offenbart. Das aber war das Letzte, was sie wollte. Wenn man es mit einem skrupellosen Schurken wie ihm zu tun hatte, war auch der geringste Vorteil von größter Bedeutung.
Sie hatte das Gespräch zwischen ihm und dem Sergeanten belauscht, wonach zwei Soldaten nach Tormons Leiche suchen sollten. Daraufhin hatte sie Elion vorgeschlagen, er und der Händler sollten deren Uniformen als Verkleidung benutzen, um in Tiarond nicht erkannt zu werden und eine längere Diskussion ausgelöst. Warum mussten Menschen bei allem immer nur das Schlechte sehen? Sie hatte heftig werden müssen, um Elion von ihrem Plan zu überzeugen, aber am Ende hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher