Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
geben, ob Toulac und ihre Komplizen zurückkehren. Die Kreatur, die sie bei sich haben, muss erschossen werden – es gibt keine sichere Möglichkeit, um ein Tier dieser Größe und Kraft einzufangen –, aber die beiden Frauen sollen mir lebend gebracht werden. Sorge dafür, dass dieser Befehl befolgt wird.«
»Ja, Herr«, antwortete der Sergeant ohne Begeisterung. »Ich werde sofort dafür sorgen.«
»Gut.« Blank war schon auf dem Weg zur Tür, als er sich noch einmal umdrehte. »Verliere keine Zeit. Ich will so schnell wie möglich in die Stadt zurück. Gib Bescheid, wenn alles zum Aufbruch bereit ist. Ich werde mit dem Hierarchen sprechen.«
Der Seher des Drachenvolkes war mit seiner Geduld am Ende, nachdem er die ganze Nacht versucht hatte, vernünftig mit dem eigentlichen Besitzer seines neuen Körpers zu sprechen. Dieser Zavahl – dieser erbärmliche Mensch – benahm sich unglaublich dumm! Aethon verfluchte sein Unglück. Er konnte seinen Wirt nicht dazu bringen, ihm zuzuhören; der Mann redete ständig irre, er sei verrückt geworden oder von Dämonen besessen. Was dieser Mensch als seinen Geist ansehen mochte, war ein Morast aus primitiven Ängsten und Aberglauben, ein Sumpf aus Schuldgefühlen und Selbstzweifeln. Doch damit nicht genug, er, Aethon, war überdies ein Gefangener des schlimmsten Feindes des Schattenbundes und dazu verdammt, am nächsten Tag zu sterben. Wenn ich die ganze Welt nach jemandem abgesucht hätte, auf den ich mein Wesen übertragen kann, ich hätte keine schlechtere Wahl treffen können. Ach, warum nur musste gerade dieser Narr derjenige sein, der ihm nahe genug gekommen war!
Warum nur? Zu seinem Unglück konnte Aethon nicht nur dessen Verstand nicht beeinflussen, er konnte nicht einmal sich selbst vor dem Unbehagen und den Qualen dieses empfindlichen Menschenkörpers bewahren. Überdeutlich spürte er die Müdigkeit, den Durst und Hunger dieses Menschen und auch dessen Schmerzen, weil er wegen der Fesseln die ganze Nacht in derselben Haltung liegen musste. Zu keiner Zeit seines Drachendaseins hatte er sich so elend gefühlt. Wieder kam ihm der Gedanke, ob der Tod nicht besser gewesen wäre. Doch, da er nun einmal weiterlebte, musste er auf eine Gelegenheit hoffen, aus dieser Zwangslage zu entkommen – so dachte er zumindest, bis sich die Tür öffnete und Aethon den Mann eintreten sah, der sich jetzt Blank nannte.
Dieser zog seinen Gefangenen hoch und lehnte ihn gegen das obere Bettende. Dann zog er eine Taschenflasche hervor und hielt sie ihm an die Lippen. Zavahl schluckte bereitwillig die ersehnte Flüssigkeit, während Aethon, der ebenso spürte, wie der Wein wärmend in den leeren Magen floss, die Klugheit dieser Handlung anzweifelte. Der Gefangene fühlte sich ohnehin schwindelig vor Müdigkeit und Hunger, und der Wein würde seinen Zustand verschlechtern. Jemand, dessen Fortleben so ungewiss war, sollte nicht so achtlos und vorschnell handeln.
Als Zavahl aufgehört hatte zu trinken, setzte sich Blank auf die Bettkante. »Dieses Mädchen«, begann er unvermittelt, »die junge Frau mit dem Narbengesicht, die in der Nacht bei dir war – was hat sie zu dir gesagt?«
Zavahl zögerte. Aethon spürte seine Angst, das Falsche zu antworten. Der Hauptmann lehnte sich über ihn. »Rede!«
Eine Woge des Schmerzes überflutete Aethons Sinne, als Zavahl einen Faustschlag in die Rippen erhielt. Er krümmte sich und rang nach Luft, aber Blank griff ihn bei den Haaren und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. »Willst du, dass ich dir beim nächsten Sonnenuntergang zeige, wie lange das Sterben eines Menschen dauern kann?«, sagte er leise.
»Ich …« Zavahl keuchte. Irgendwie kam er in seiner Angst so weit zu Atem, dass er sprechen konnte. »Sie befahl mir, ruhig zu bleiben«, brachte er hastig heraus. »Sie sagte, sie würde mich befreien, wenn ich ihre Fragen beantworte.«
»Oh, du verdammter Feigling!«, schrie Aethon. »Du elender Narr! Schweig! Du verrätst sie an dieses Ungeheuer!«
Blank sah den Hierarchen an, als wolle er ihn durchbohren, und sein Ton wurde scharf. »Welche Fragen? Wonach hat sie dich gefragt?«
»Sag ihm nichts!«
»Nur eines«, antwortete Zavahl. »Die Zeit war zu knapp. Sie fragte, was auf dem Pass geschehen ist, als ich den Drachen sah. Sie wusste über den Dämon in mir Bescheid …«
»Oh, du Narr! Du erbärmlicher Narr! Sprich nicht über den Dämon! Alles, nur das nicht!«
Blank nickte bedächtig. »Erzähl mir mehr über diesen
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