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Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial

Titel: Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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einem matten Himmel gewesen, wo sich die Regenwolken, anstatt hoch oben an ihrem angestammten Platz zu bleiben, lieber schwer auf das Gebirge niederlegen und es in feuchten Dunst einhüllen. Für Toulac war ein grauer Abend wie dieser angefüllt mit Geistern, was kaum überraschen konnte, denn nach fast sechs Lebensjahrzehnten war fast jeder, der ihr etwas bedeutet hatte, von ihr gegangen. Kameraden, ihre Liebsten, sogar ihre tapferen, geachteten Feinde: Sie alle pirschten sich nun heran, umdrängten sie im Nebel der Erinnerung. Gesichter, Orte, Schlachten, gewonnene und verlorene; Siegesfeiern und Totenwachen in der wärmenden Gesellschaft ihrer Kameraden, deren Trunkenheit nicht nur vom Bier oder vom Mondschein stammte, sondern auch von dem süßen Gefühl der Erleichterung, dass sie einen weiteren Kampf überstanden hatten und noch einen Tag weiterleben durften. Bis sie schließlich einer nach dem anderen gefallen waren und sie allein zurückgelassen hatten, zu alt für ein Leben als Kriegerin und zu starrköpfig, um ihnen ins Heer der Toten zu folgen. Das Auf und Ab ihres Lebens war verebbt und hatte Toulac in dieses einsame Gebirge verschlagen, wo sie, so gut sie konnte, die Zeit bis zu ihrem Tode auszufüllen suchte.
    Es ist schon seltsam, wie der Kreis sich schließt, dachte Toulac. In dieser Sägemühle war sie geboren worden, und sie hätte niemals geglaubt, dass sie ihre Tage an demselben armseligen Ort beschließen würde. Ermutigt durch ihren Vater, der sie als den Sohn behandelt hatte, der ihm verwehrt geblieben war, hatte sie immer eine Kriegerin sein wollen. Ihre militärische Laufbahn hatte sie bei den Schwertern Gottes begonnen, den Tempelkriegern, die im Namen Myrials kämpften, und es hatte sich schnell herausgestellt, dass sie nicht nur strategisch denken konnte und das Talent einer Schwertmeisterin besaß, sondern auch eine außerordentliche Begabung beim Abrichten von Pferden zeigte. Infolgedessen musste sie es oft mit störrischen jungen Pferden aufnehmen, und ihre Vorgesetzten fanden sie bald unentbehrlich.
    Ihr stetiger Aufstieg kam zu einem abrupten Stillstand, als der Hauptmann in den Ruhestand trat und Blank sein Nachfolger wurde – ein beeindruckender junger Emporkömmling, der eines Tages aus dem Nichts aufgetaucht war. Sein Aufstieg zur Macht war so geradlinig, steil und exakt gewesen wie der Flug eines Pfeils. Über die Eignung weiblicher Krieger als Schwerter Gottes hatte er festgefügte Ansichten besessen, infolge derer er sie allesamt vom Dienst ausschloss. Danach musste Toulac sich als Wächterin bei Händlern und Reisenden verdingen oder focht in den kleinen Söldnerheeren der ständig im Streit liegenden Sippen, die im felsigen Hügelland des Nordostens lebten und einer Fehde die nächste folgen ließen.
    »Und dort hätten wir lieber bleiben sollen, du und ich. Eh, alter Junge?« Toulac tätschelte den warmen Hals ihres alten Streitrosses. »Lieber im besten Mannesalter auf dem Schlachtfeld bleiben als so tief zu sinken, dass man mit steifen Gelenken und wehen Knochen sich noch täglich so abrackern muss.«
    Als Toulac bei der Sägemühle eintraf, drückte Robal sich aus dem dunklen Eingang und bückte sich, um ihr beim Lösen der Ketten zu helfen. Er war ein großer und stämmiger junger Mann mit dünnen blonden Haaren und einem runden, bartlosen Gesicht. »Ist das der Letzte, Meisterin?«, fragte er.
    »Außer es fallen noch mehr tote Bäume um. Von den Holzfällern wird es nichts mehr geben, bis der Wasserstand genügend gefallen ist, dass man das Holz sicher zu Tal flößen kann.« Sie hatte es ihm schon hundertmal erklärt und schon tausendmal, dass er sie nicht Meisterin nennen sollte. Immer dasselbe. Toulac biss die Zähne zusammen und versuchte, sich die Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass sie mit der Welt haderte und er nicht gerade der Hellste war. ›Ein starker Arm und ein schwacher Kopf‹, wie man in den Bergen sagte; auf ihren Burschen passte diese Beschreibung perfekt. Andererseits hätte sie ohne seine starken Arme die Sägemühle nicht betreiben können, also fand sie sich lieber mit seinen Beschränktheiten ab.
    Außer mit einer.
    »Meisterin! Du hast wieder getrunken!«, stieß Robal hervor. »Dein Atem riecht abscheulich.«
    Robal war einer der frömmsten Anhänger Myrials. Die Auslegung des göttlichen Willens oblag zu jeder Zeit dem amtierenden Hierarchen, Callisioras Herrscher über alle geistlichen und

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