Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
Ärmel.
Mit einem Seufzer ließ Bevron seine Frau los und nahm seinen Platz auf dem Teppich wieder ein. »Nein, mein Schatz. Du kannst die Kühe nicht auf das gelbe Feld stellen. Denn das ist der Mais, nicht wahr?«, ermahnte Bevron seinen Sohn, der vor einiger Zeit entdeckt hatte, dass die bunten Rechtecke des Teppichs sich hervorragend als Untergrund für seinen Bauernhof eigneten.
Aukil schob die Unterlippe noch weiter hervor. Mit dem hellbraunen Haar und seinem stämmigen Körperbau war er ein Abbild seines Vaters. »Kann ich wohl. Ist ja mein Hof.« Er warf seinem Vater einen warnenden Blick zu und setzte die hölzernen Kühe zurück auf das gelbe Feld. »Sie mögen Mais.«
Bevron zuckte die Achseln. »Wie du willst, Kamerad, aber dein Bauer wird dann im nächsten Winter hungern müssen.«
Damit wandte er sich wieder Gilarra zu und fuhr fort, wo sie ihr Gespräch unterbrochen hatten. Gilarra nahm es schmunzelnd zur Kenntnis. Seit sie ein Kind hatten, verstanden sie es beide meisterhaft, zwei Unterhaltungen gleichzeitig zu führen.
»Was glaubst du, warum Zavahl so ist?«, fragte Bevron. »Ich meine, ihr beide wurdet in der Basilika und im Heiligtum gemeinsam großgezogen, aber du bist, Myrial sei Dank, ein ganz anderer Mensch geworden.«
»Also, um Zavahl gerecht zu werden, muss man sagen, dass die Umstände nicht genau gleich waren.« Sie nahm ihre Handarbeit wieder auf und schob erst einen Faden durch das Nadelöhr, bevor sie weiter sprach. »Bedenke, er wurde aufgezogen, um der Hierarch zu werden. Auf mir hat niemals diese schreckliche Verantwortung gelastet. Und der alte Malacht, der Priester, in dessen Obhut er stand …« Sie hielt inne und schauderte. »Hier hast du einen Eiferer reinsten Wassers, einen Mann so hart wie Stahl und kalt wie Stein. Ich hatte es besser – ich wuchs im Haus der Priesterinnen auf, aber Zavahl stand unter der Herrschaft dieses grausamen Despoten. Wo andere ein Herz haben, war bei dem nur ein finsteres Loch.« Sie schaute an Bevron vorbei und dachte stirnrunzelnd an die Vergangenheit. »Ich frage mich manchmal, was für ein Mensch Zavahl geworden wäre, wenn dieser verschrobene alte Rohling nicht bei dem Unfall ums Leben gekommen wäre -«
»Welcher Unfall?«, unterbrach Bevron.
Gilarra blickte ihn überrascht an, doch dann sagte sie: »Ich hatte vergessen, dass du es nicht wissen kannst, denn unter den Handwerkern ist sein Unfall nicht bekannt. Malacht ist im Tempel die Treppe heruntergestürzt, die Treppe, die von den Gemächern des Hierarchen zur Halle der Anbetung führt.«
Bevron stieß einen leisen Pfiff aus.
Gilarra machte eine wegwerfende Geste. »Er hatte alle Knochen im Leib gebrochen, als er unten ankam. Und soll ich dir etwas sagen? Es gab keine Menschenseele im Heiligen Bezirk, die nicht hocherfreut war.« Dabei schaute sie Bevron so finster an, dass er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Es knirschte laut unter seinen Füßen, und Aukil ließ ein ärgerliches Jammern hören. Bevron fuhr aufgeschreckt herum, dann bückte er sich, hob zwei Tiere auf, die er schlimm zugerichtet hatte, und strich seinem Sohn über den Kopf. »Das tut mir Leid, Kind.«
»Du hast sie umgebracht«, weinte Aukil.
»Nein, Schatz, sie hatten nur einen kleinen Unfall«, sagte Gilarra beruhigend. »Dein Vater wird die Beine sicher wieder ankleben, dann sind sie so gut wie neu.«
»Natürlich mach ich das. Lauf du und hol den Leimtopf, ich werde sie sofort wieder heil machen.« Während Aukil nach dem Topf rannte, wog Bevron nachdenklich die Holzfiguren in der Hand. »Zerbrochen wie der alte Malacht«, murmelte er.
Gilarra schüttelte den Kopf. »Myrial sei Dank, dass ihn niemand mehr zusammenkleben konnte. Nach seinem Tod führte Zavahl ein tausendmal besseres Leben, dennoch muss eine solche Kindheit ihre Narben hinterlassen haben. Vermutlich weiß ich nicht einmal die Hälfte der Qualen, unter denen er als Kind gelitten hat. Deshalb kann ich ihm nicht die ganze Schuld dafür geben, wie er geworden ist. Malacht hat niemals darüber hinweggesehen, dass Zavahl nur der Sohn einer Dienerin war, anstatt das Kind einer Priesterin, so wie ich. Du kennst die Regel. Myrials Stellvertreter wird das erstgeborene Kind im Heiligen Bezirk nach dem Tod des Hierarchen, ganz gleich welcher Herkunft. Wenn es nicht so viele Zeugen gegeben hätte, hätte Malacht den armen Zavahl vermutlich mit der eigenen Nabelschnur erdrosselt und auf einen Kandidaten gewartet, den er für geeigneter
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