Der Schattenbund 02 - Der Geist des Steines
Weile am Bett seiner Tochter und ließ sie dann sehr widerstrebend allein, um sich um die Pferde zu kümmern.
»Ich gebe auf sie Acht, wenn du willst.« Die junge Frau, die mit Presvel geritten war, erbot sich, und als sie seinen zweifelnden Blick sah, fügte sie hinzu: »Ich habe mit Pferden keine Erfahrung und wäre im Stall nicht von Nutzen, aber mit Kindern kenne ich mich gut aus. Ich hatte viele kleine Geschwister, aber das Schwarze Lungenfieber hat sie mir genommen. Ich will meinen Anteil an der Arbeit tun. Ich halte nichts davon, anderen Leuten zur Last zu fallen.« Den letzten Satz sagte sie so herausfordernd, dass Tormon sie erstaunt ansah. Doch ihr kalter, verschlossener Gesichtsausdruck erschreckte ihn, und er ließ es auf sich beruhen. Er nickte nur und antwortete: »Sehr gut – ich danke dir. Wie ist dein Name?«
»Ich heiße Rochalla.«
»Gut, ich bin Tormon, und das ist Scall. Und nun, da wir uns alle kennen, wollen wir uns für die Nacht einrichten. Rochalla, könntest du uns etwas zu Essen herrichten, während wir die Pferde versorgen?«
»Natürlich.« Zum ersten Mal lächelte sie, und Scall bemerkte plötzlich, dass sie unter dem vielen Schmutz ein sehr hübsches Gesicht hatte. Er wünschte, es gäbe einen Grund, damit er in der Baracke bleiben und ihr zur Hand gehen könnte. Aber unglücklicherweise musste die Arbeit im Stall getan werden, und er würde sich nicht vor seiner Pflicht drücken. Er hatte inzwischen von Tormon gelernt und stellte die Stute und den Esel in benachbarte Boxen, wo er es ihnen bequem machte.
»Sieh dir das an!«, rief Tormon aus der Sattelkammer, wo er die Deckel von den Fässern hob und hineinspähte. »Myrial sei Dank, die Gottesschwerter haben sogar Getreide für ihre Pferde hier.«
»Den Tieren des Hauptmanns geht es besser als den Menschen in der Stadt, ihnen bleibt nichts anderes übrig als zu hungern.« Rochalla war mit zornigem Gesicht in der Barackentür erschienen. »Doch wen kümmert es schon, wenn kleine Kinder an Kälte, Hunger und Krankheit sterben, solange es den Pferden gut geht!« Damit zog sie sich wieder zurück. Presvel machte einen zaghaften Schritt, als wollte er ihr nachgehen, aber dann ließ er es bleiben und wandte sich seinem Pferd zu. Allerdings konnte er den Blick kaum von der Tür lassen, durch die Rochalla verschwunden war.
Seriema wiederum ließ ihren Diener nicht aus den Augen. Ihre kalte wütende Miene jagte Scall einen Schauder über den Rücken. Da ihre ganze Aufmerksamkeit Presvel galt, kam sie bei der Versorgung ihres Tieres nicht voran, und der Wallach steckte die Nase immerzu in die leere Krippe, fing an zu tänzeln und zu stampfen. Tormon, der mit Futter für seinen Hengst aus der Sattelkammer kam, sah es und runzelte die Stirn. »Während der Reise sorgt jeder selbst für sein Pferd, Dame«, sagte er ruhig. »Avrio hat dich den ganzen Tag durch Regen und Morast getragen. Das Geringste, was du tun kannst, um es ihm zu vergelten, ist, für sein Futter und einen behaglichen Schlafplatz zu sorgen.«
Seriema drehte sich mit blitzenden Augen zu ihm um. »Zum Teufel mit deinem Pferd. Das Tier ist allenfalls müde und hungrig. Aber da fangen meine Probleme erst an. Ich habe heute alles verloren: mein Haus, mein Auskommen, meinen Platz in der Welt – alles.«
Tormons Gesicht wurde hart und bitter. »Jeder von uns hier hat seinen Platz in der Welt verloren«, hielt er ihr barsch entgegen. »Genau wie du habe ich kein Heim und kein Auskommen mehr. Auch meine Frau habe ich verloren, die ich mehr geliebt habe als mein Leben. Und siehst du mich herumstehen und jammern? Oder einen anderen hier, der sich um seine Pflicht drückt?«
Seriema bekam einen hässlich roten Kopf. Presvel mischte sich zu ihrer Verteidigung ein. »Das ist ungerecht, Tormon. Bedenke, was sie heute durchgestanden hat. Bemühe dich nicht, Herrin. Ich werde dein Pferd versorgen.«
»Du wirst nichts Dergleichen tun. Dein eigenes Tier braucht ebenfalls deine Pflege«, sagte der Händler bestimmt, aber etwas milder. »Ich weiß, dass die Dame einen harten Tag hatte, Presvel. Aber eben darum braucht sie sinnvolle Beschäftigung, die sie vom Grübeln abhält.« Und an Seriema gewandt sagte er: »Es ist nur zu deinem Besten. Ich spreche aus Erfahrung, glaube mir.«
Nach ihren aufsässigen Gesichtsausdruck zu urteilen war kein einziges Wort bis in ihren Verstand vorgedrungen. »Das Pferd gehört dir«, antwortete sie darum. »Versorge du es, wenn es dir so wichtig ist.
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