Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
war er vollkommen sicher. Obwohl sein Meuchelmörder zunächst versagt hatte, bewirkte seine Wandelbarkeit doch, dass Amaurn von Freund wie Feind abgeschnitten war.
Ich will verdammt sein, wenn ich sie hiermit davonkommen lasse!
Ihm wurde jetzt schwindelig, und Arme und Beine fühlten sich ganz kalt an. Er begriff, dass die Schockwirkung einsetzte, aber das letzte, was er sich jetzt leisten durfte, war eine Ohnmacht. »Komm«, sagte er zu Maskulu. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich steige auf den umgestürzten Baum und von da aus auf deinen Rücken. Sobald wir in der Siedlung sind, denken wir über das andere nach, aber wir müssen dort ankommen, solange ich bei Bewusstsein bin.«
Maskulu knurrte besorgt. »Bist du sicher, dass du es schaffen wirst?«
Amaurn dachte an jene Nacht zurück, als er in die Schlucht gestürzt war und es geschafft hatte, mit blutigen Fingern wieder nach oben zu klettern, nur weil er sich der anderen Möglichkeit verweigert hatte. Es war ein Trost zu wissen, dass er noch genügend von dem eisenharten Hauptmann Blank in sich hatte, um auch mit dieser Notlage zurechtzukommen. »Oh, ja«, antwortete er grimmig. »Ich werde es schaffen.«
»Sie können unmöglich da hinübergelangt sein!« Auf Galverons Gesicht spiegelte sich, von dem pulsierenden Licht bunt beleuchtet, Schrecken. Alestan, der am Rand stand, wo der Gang so plötzlich aufhörte, blickte wieder in den scheinbar bodenlosen Schacht vor ihnen, dann auf die kleine viereckige Plattform in der Mitte, auf der eine Art feinmaschiges Gitter zu liegen schien, und maß den langen Sprung auf die andere Seite, wo der Gang weiterführte. In Wirklichkeit gefiel ihm das nicht mehr als seinem Gefährten, aber das würde er bestimmt nicht zugeben. »Wohin sollten sie sonst gegangen sein?«, fragte er.
Galveron runzelte die Stirn. »Diese Seitenschächte…«, begann er.
»Galveron, wir haben jedes Gitter an jedem Seitenschacht abgesucht«, erwiderte der Dieb. »Nach dem Dreck zu urteilen und dem Rost daran, hat sie seit Menschengedenken keiner mehr bewegt. Du musst es einsehen. Aliana und Packrat müssen den Schacht überquert haben, wenn sie hier entlanggekommen sind – und wir wissen, dass das richtig ist. Die Essenskrümel überall, die Stellen, wo sich einer erleichtert hat – von wem sollte das sonst stammen?«
Trotz der ständig wechselnden Farbe auf seiner Haut, sah der Hauptmann sehr blass aus, als er die furchtbare Tiefe musterte, aber er schob entschlossen das Kinn vor. »Du hast Recht«, räumte er ein. »Wir werden hinüberspringen müssen.«
»Du kannst jederzeit hier warten«, schlug Alestan hoffnungsvoll vor. »Ich bin das Herumklettern und Hinüberspringen gewöhnt. Ich gehe voraus und finde die anderen und bringe sie zurück.«
Galveron bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Du willst vorauslaufen, zu den anderen aufschließen und mich hier sitzen lassen wie eine alte Jungfer auf der Hochzeit«, widersprach er. »Glaubst du vielleicht, ich bin von gestern?«
»Aber wir müssten doch auf demselben Weg zurückkehren.«
»Ja – aber nur, wenn ihr keinen anderen Weg nach draußen findet.«
Der Dieb fluchte im Stillen. Er vergaß immer wieder, wie scharfsinnig der Hauptmann war.
»Aber wie dem auch sei«, fuhr der Hauptmann fort, »wie denkst du dir das, wenn du allein weitergehst und an eine neue Leiter kommst?«
Alestan starrte ihn wütend an. »Das sieht dir ähnlich, dass du mir das vorhältst!« Mit seinem geschienten Arm in der Schlinge hatte er die Leiter von der ersten Plattform nicht hinabsteigen können, sondern musste warten, bis Galveron mit einem Seil kam. Dann hatte er die Schmach über sich ergehen lassen, daran hinuntergelassen zu werden. Aber so sehr er es verabscheute, das zuzugeben, der Hauptmann hatte Recht. »Also gut.« Er machte eine übertrieben höfliche Geste zum Abgrund hin. »Nach dir.«
Sein Gefährte zögerte. »Meinst du, dass du das mit deinem Arm schaffen kannst?«
»Ich springe mit den Beinen, nicht mit den Armen.«
»Aber wenn du landest, brauchst du die Arme, um das Gleichgewicht zu halten«, hielt Galveron ihm entgegen. »Weißt du, nachdem ich das Seil den ganzen Weg über getragen habe, ist es ein Jammer, dass hier nichts ist, woran man es festmachen kann. Es wäre schön gewesen, wenn wir uns keine Sorgen zu machen bräuchten, ob wir bis ganz nach unten fallen. Aber wenn ich zuerst gehe, kann ich dich wenigstens auffangen und stützen, wenn du
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