Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
aus. Ein anderer Grund ist, dass du bist, wer du bist. Jede Rotte hat von der Dame Seriema, der berühmtesten Händlerin Callisioras, gehört – hauptsächlich weil deine Handelszüge für uns eine hochgeschätzte Beute abgeben. Einige haben dich sogar in der Stadt gesehen, denn wir besuchen sie von Zeit zu Zeit – unauffällig, versteht sich –, um ein bisschen zu handeln und Auskünfte einzuholen.«
»Und weil die Rotten für gewöhnlich nicht zu meinen Freunden zählen«, ergänzte Seriema mit beißendem Spott, »muss ich einen verdammt guten Grund haben, wenn ich mit euch reite.«
»Genau.« Er musterte ihr Gesicht. »Wirst du also mitkommen? Es könnte gefährlich werden – ich will dich darüber nicht belügen. Falls einer der Häuptlinge beschließt, die Flagge der Waffenruhe nicht zu ehren, dann werden wir um unser Leben kämpfen müssen. Aber andererseits können, wenn wir die Sippen überzeugen, sich uns anzuschließen, viele unschuldige Menschen gerettet werden.«
Die Erinnerung an das stinkende Ungeheuer, das mit blutigen Krallen und Zähnen in ihr Zimmer hereinbrach, blitzte in ihr auf. Sie dachte an die Frauen und Kinder, die sie eben noch dabei beobachtet hatte, wie sie im Dorf ihre Aufgaben versahen. »Selbstverständlich werde ich mitkommen«, sagte sie.
»Ich wusste, du würdest uns nicht enttäuschen!« Bildete sie sich das ein oder betrachtete er sie tatsächlich mit größerer Anerkennung? »Ich werde ein gutes Pferd für dich aussuchen – dein Rappe wird nach all den Strapazen Ruhe brauchen, und außerdem bin ich nicht willens, ein kostbares Tier aus so guter Zucht in Feindesland zu bringen.« Er grinste. »Besser, wir führen sie nicht in Versuchung, wie?«
Seriema lächelte nicht zurück. Über Pferde zu sprechen erinnerte sie an Tormon, und sie wusste, dem Händler würde ihr Ausflug überhaupt nicht gefallen.
Sein Pech. Ich brauche seine Erlaubnis nicht. Ich habe mein Leben in der Stadt selbst gestaltet, und genau das werde ich auch hier tun.
Es war erstaunlich, wie sehr die Aussicht, etwas Nützliches tun zu können, ihre Laune und ihr Selbstvertrauen hob. Sie schuldete Cetain Dank dafür, dass er sie, eine Außenseiterin, in die Welt der Rotten einbezog.
Er hielt ihr die Hand hin. Sie nahm sie bereitwillig, und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinunter.
Galveron gebot ihr mit einer Handbewegung, still zu sein, und schlich auf das Haus zu, wobei er sich bemühte, so leise wie möglich über Glasscherben und Schutt zu treten. Die Fenster waren geborsten, aber die Tür war unbeschädigt. Er versuchte sie aufzudrücken, dann stemmte er sich mit der Schulter dagegen, aber sie bewegte sich nicht. »Das verfluchte Ding ist abgeschlossen«, sagte er leise. »Ich will sie nicht einschlagen, sonst lockt der Lärm die Ungeheuer an, aber es scheint, als ließe sie sich nicht von der Stelle bewegen.«
»Das sehe ich.« Aliana schob sich an ihm vorbei. »Lass mich mal.« Ehe er etwas einwenden konnte, hob sie einen Stein auf, schlug die letzten Scherben aus dem Fensterrahmen, zog sich hinauf und war mit einer schlängelnden Bewegung drinnen.
»Zurück, du Dummkopf!«, zischte Galveron. Sie tat, als hörte sie ihn nicht. Kurz darauf jedoch kletterte er durch das Fenster hinter ihr her und machte dabei viel mehr Lärm als sie. Er packte sie am Arm und drehte sie zu sich herum, sodass sie ihn direkt ansehen musste. »Worauf legst du es eigentlich an?«, zischte er.
Aliana entwand sich seinem Griff. »Wenn hier ein Kind versteckt ist, müssen wir es finden.«
»Ich weiß. Aber lauf nicht einfach so los, ohne es mir zu sagen. Hier draußen müssen wir beieinander bleiben.«
Aliana wusste, dass er Recht hatte – diesmal –, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie es zugab. »Dann versuche, Schritt zu halten«, fauchte sie. In eisigem Schweigen begannen sie, das Haus zu durchsuchen.
Abgesehen von Regen und Schmutz, die der Wind hereingeweht hatte, schienen die Möbel unbeschädigt zu sein. Aliana vermutete, dass die Scheusale durch die Stadt geflogen waren und alle Fenster zerschmettert hatten, um die Leute in den Häusern aufspüren zu können. Bislang hatten sie im Tempelhof genug Futter gefunden, um sie von einer gründlicheren Suche abzuhalten.
Das kleine Haus war behaglich und gut gepflegt. Es sah nach einem glücklichen Zuhause aus, von der Art, nach der sich Aliana immer gesehnt hatte, seit sie mit ihrem Bruder behelfsweise im Elend des Labyrinths lebte. Dass es die
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