Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Waldbewohner seid, darf ich als richtig voraussetzen, dass ihr eigentlich Pflanzenwesen seid?«
Die Takur verschwamm und bewegte sich rascher. »Offenbar hast du nachgeforscht, Archimandrit. Ich nehme an, dass du die Antwort bereits kennst. Worauf willst du hinaus?«
»Ich lade die Takuru ein, zu uns zu kommen und mit uns zu leben, Kalevala. Soweit ich weiß, seid ihr die einzigen Pflanzenwesen im Schattenbund, und auf den Hängen oberhalb der Siedlung steht ein Eichenwald. Ihr braucht mit dem übrigen Schattenbund nicht um Platz zu streiten, um euch ein Heim zu schaffen. Die Baumkronen sollen sämtlich euch gehören.« Er machte eine kurze Pause. »Des Weiteren möchte ich, dass du aus eurer Mitte Anwärter vorschlägst, die zum Wissenshüter ausgebildet werden und ihren gebührenden Platz unter uns einnehmen sollen.«
Die Takur sank überwältigt zu Boden. Aus der dunklen, bewegten Gestalt leuchteten die dicht beieinander sitzenden Augen. Doch sie fasste sich rasch. »Dein Angebot ist überaus großzügig, Amaurn. Aber was verlangst du von uns als Gegengabe?«
»Ich will, dass die Takuru hier ihre wahre Gestalt gebrauchen«, sagte er. »Die Leute misstrauen euch, weil sie nicht wissen, in welcher Tarnung ihr vielleicht gerade irgendwo lauert. Ich möchte das Misstrauen beseitigen, indem ich eure Tarnung beseitige – und den Grund für dieselbe. Ihr sagt, dass die Leute euch abstoßend finden. Aber es gibt viele andere Geschöpfe im Schattenbund, deren Erscheinung beängstigend ist. Maskulu ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Und wie steht’s mit dem Afanc? Und mit den Alvai? Niemand stört sich an ihnen, weil sie uns vertraut sind, und wenn man euch allezeit überall sieht, werden sich die Leute bald an euren Anblick gewöhnt haben.«
»Ist das alles?«, fragte Kalevala argwöhnisch.
»Nicht ganz. Ich bin sicher, du weißt sehr genau, dass Syvilda aus deinem Volk einen Mörder auf mich angesetzt hat.«
»Ja«, gab sie zu. »Und ich bin sicher, du weißt genau, dass ich Vifangs Tat nicht billige.«
»Allerdings. Und darum führen wir diese Unterhaltung. Ich möchte, was das Tarnen betrifft, eine Ausnahme machen. Als Syvilda einen Mörder gegen mich aussandte, hat sie ihr Schicksal und das Schicksal Cergorns besiegelt. Sobald er so weit genesen ist, dass er reisen kann, wird jede Spur der Erinnerung an den Schattenbund aus ihrem Gedächtnis gelöscht werden und sie werden zu den Inseln ihres Volkes zurückgeschickt. Bis dahin aber will ich, dass sie von eurem Volk beschattet werden, ohne dass sie es merken, damit sie nicht noch einmal etwas gegen mich anzetteln können.«
»Du verbannst sie?« Kalevala klang überrascht. »Ist das alles? Ich war mir sicher, dass du zumindest Syvilda hinrichten würdest, sobald du ihr auf die Schliche gekommen bist.«
Amaurn schüttelte den Kopf. »Cergorn ist derjenige, der auf Hinrichtungen erpicht war – wie ich mich nur allzu gut erinnere. Ich möchte seine Fehler nicht nachahmen, aber ich handle auch nicht nur aus Mildtätigkeit. Wenn ich den ehemaligen Archimandriten und seine Lebensgefährtin hinrichte, verliere ich auf immer jede Möglichkeit, ihre Anhänger für mich zu gewinnen. Ein Akt von offensichtlicher Großherzigkeit könnte jedoch dazu führen, dass die Leute zweimal nachdenken. Und wenn ich Cergorns und Syvildas Erinnerung auslösche, brauche ich wenigstens nicht andauernd über die Schulter zu blicken.«
Die Takur funkelte ihn an. »Du willst also, dass wir nun deine Spitzel sind. Wie bisher für Cergorn. Trotz deiner feinen Reden willst du uns benutzen, wie er es immer getan hat!«
»Ich will keine Gewohnheit daraus werden lassen. Dies ist jedoch ein besonderer Fall. Und sofern ihr, was eure Treue angeht, Gewissensbisse habt, so solltet ihr bedenken, dass ihr Cergorn und Syvilda das Leben rettet, indem ihr sie davon abhaltet, weiter gegen mich vorzugehen. Denn wenn sie noch einen Versuch wagen, werde ich sie hinrichten.«
Das Oberhaupt der Gestaltwandler überlegte – aber nur einen Augenblick lang. »Also gut«, sagte sie. »Im Namen meines Volkes nehme ich deine Bedingungen an und …«
»Halt«, sagte Amaurn. »Es gibt noch einen kleinen Vorbehalt. Ich will den Kopf des Mörders, der mich heute angegriffen hat.«
Kalevala seufzte. »Das dachte ich mir. Bist du dir darüber im Klaren, dass du dir dann Feinde unter den Takuru schaffst, besonders wenn du Syvilda, die den Mord angewiesen hat, verschonst? Mein Volk wäre über eine solche
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