Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
donnernd auf den Strand zurollte. Bevor sie jedoch die Menschen erreichen konnte, machte Helverien eine Handbewegung, und die Wasserwand brach plötzlich zusammen, verteilte sich über den Strand und lief harmlos ins Meer zurück.
»Was im Namen der Verdammnis war das?«, fragte Alestan. Packrat setzte einige seiner kräftigeren Flüche ein, nur Galveron saß still und ernst und so tief in Gedanken versunken da, dass das Ereignis fast unbemerkt an ihm vorübergezogen war. Plötzlich sprang er auf. »Ich gehe Aliana suchen.«
Alestan sprang ebenfalls auf und trat ihm in den Weg. »Lass sie in Ruhe. Du hast genug Schaden angerichtet.«
Galveron blitzte ihn an, doch dann klang er ganz versöhnlich. »Du verstehst mich falsch. Ich folge Helveriens Rat. Es war falsch, den Ring zu stehlen, daran lasse ich nicht rütteln. Aber es war auch falsch von mir, sie so zu behandeln. Ich wollte sie nicht kränken, Alestan. Sie – sie bedeutet mir sehr viel. Ich werde mich bei ihr entschuldigen, und dann können wir beide die ganze Sache noch einmal durchsprechen.«
»Lass ihn nicht gehen«, mischte sich Packrat ein. »Sorge dafür, dass der stinkende Bastard sie in Ruhe lässt.« Aber Alestan trat zurück. »Also gut«, sagte er. »Ausnahmsweise will ich dir glauben, Gottesschwert.«
Galveron drückte dem Grauen Geist knapp die Hand. »Danke, Alestan. Ich weiß das zu schätzen«, sagte er. »Und mach dir keine Sorgen. Ich werde behutsam sein. Ich weiß, die letzten Tage müssen sehr hart für sie gewesen sein, seit sie den Ring gestohlen hat.« So ging er zielstrebig in die Richtung davon, in die die Diebin verschwunden war.
Alestan schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, die Sache nimmt nicht den Lauf, an den ich jetzt denke«, sagte er. »Wenn’s damit endet, dass ich so ein verdammtes Gottesschwert als Schwager kriege, davon kann ich mich nie wieder reinwaschen.«
Packrat schnappte nach Luft. »Aber du würdest doch nicht zulassen, dass sie …«
»Wie soll ich sie denn daran hindern? Sie hat ihren eigenen Kopf, das solltest du inzwischen wissen. Darum sitzen wir ja jetzt hier. Solange sie damit glücklich ist und er auf sie aufpasst, kann ich es vermutlich aushalten.«
Helverien betrachtete die beiden milde lächelnd. Es war schön, wieder Leute um sich zu haben.
Aliana saß unter einem Baum, die Arme um ihre Knie geschlungen, und starrte aufs Meer hinaus. Sie weinte nicht und sie war nicht einmal zornig – noch nicht jedenfalls. Sie fühlte sich nur leer, eine dumpfe Leere, wo all ihre Gefühle hätten sein müssen. Sie wollte an Galverons Worte nicht einmal denken, geschweige denn sie annehmen. Packrat hatte Recht gehabt. Ihr ganzes hitziges Unternehmen hatte ins Unglück geführt. Aber sie wollte sich noch ein Weilchen etwas vormachen. Indem sie den wackligen Zustand der Leere aufrechterhielt, konnte sie so tun, als hätte die schreckliche Szene zwischen ihr und dem Hauptmann gar nicht stattgefunden.
Als Alestan und Galveron hier aufgetaucht waren, beide offenbar unverletzt, hatte sie vor Erleichterung weiche Knie bekommen. Leider schien die Freude nicht beiderseitig zu sein. Ihr Bruder war noch nie so wütend auf sie gewesen. Doch es fiel ihr leichter an Alestans aufbrausenden Zorn zu denken als an Galverons kalte Verachtung. Sie und ihr Bruder konnten nie lange miteinander böse sein. Sie hatten sonst niemanden auf der Welt, und sie teilten die rätselhaften Bande aller Zwillinge. Ihre Auseinandersetzungen waren laut und aufwühlend und von kurzer Dauer, und wenn sie sich alles mögliche von der Seele geschrien hatten, dann war das Verzeihen so selbstverständlich wie Atmen.
Ich wünschte, er wäre jetzt hier bei mir. Es wäre so tröstlich …
Aber dieser Gedanke trieb sie in eine Richtung, wohin sie nicht wollte, und sie brach ihn sofort ab und kehrte zu ihrer Betrachtung des leuchtend blauen Meeres zurück.
Sie hörte ihn überhaupt nicht kommen. Soeben war sie noch allein gewesen, jetzt saß Galveron neben ihr. Sie versteifte sich, unsicher, was sie erwartete, und machte sich auf das Kommende gefasst.
»Aliana, ich bin gekommen, um zu sagen, dass es mir Leid tut.«
»Was hast du gesagt?« Das war ohne Zweifel das Letzte, womit sie gerechnet hätte.
»Treib es nicht zu weit«, brummte er. »Mehr als eine Entschuldigung kriegst du nicht.«
Sie blickte lieber weiter aufs Meer hinaus, als ihm jetzt ins Gesicht zu sehen. Das machte alles irgendwie einfacher. »Mir tut es auch Leid, Galveron. Es war ein
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