Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
ihrem Einzug gab es einen wütenden Sturm, der See trat über die Ufer und die Flut überschwemmte das Haus.
Alles geschah so schnell und unerwartet, dass zwei kleine Kinder der Familie bei der Flucht ertranken, und seitdem hatte niemand mehr dort leben wollen. Zwar kam solch ein Sturm höchst selten auf, doch die Leute wussten nun, dass der Platz bei Hochwasser gefährdet war, und schließlich war ein großes Stück vom Ufer weggebrochen. Die Dörfler hielten die Stelle für verflucht, und sie befand sich auf der falschen Seite des Sees, viel zu weit von den Häusern der Wissenshüter entfernt, um für den Schattenbund geeignet zu sein.
Nun jedoch wurde das verlassene Haus wieder benutzt, und zwar als neues Heim und Gefängnis des Ak’Zahar. Der Hauptwohnbereich wurde an Wänden, Böden und Decken durch ein robustes, besonders verstärktes Geflecht in einen Käfig verwandelt, der selbst der Kraft dieses Räubers standhalten würde. Eine Gruppe Freiwilliger, deren wissenschaftliche Neugier stärker war als Besorgnis und Abscheu, zog soeben in die übrigen Räume des Hauses ein, um das Geschöpf zu beobachten, wobei sie die Küche zum Forschungsraum und zwei Schlafzimmer zu Arbeits- und Besprechungsräumen umfunktionierten. Das dritte Schlafzimmer behielt seine ursprüngliche Verwendung für die Forscher, die sich vom täglichen oder nächtlichen Dienst ausruhen mussten.
Als es in Gendival dämmerte, war die Beleuchtung rund um das Haus bereits aufgestellt, und die Forschungsgruppe sowie eine Anzahl Arbeiter und Handwerker aus dem Dorf setzten ihre Arbeit bis in die Nacht hinein fort, um alles für den neuen Bewohner vorzubereiten. Das Hämmern und Sägen und die lauten Stimmen, die den Arbeitslärm übertönten, hallten bis nach draußen, und durch die Fenster waren helle Lichtblitze zu sehen, als der Käfig zusammengeschmiedet wurde.
Veldan lehnte an der niedrigen Gartenmauer und beobachtete alles aus sicherer Entfernung. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, an dem sie zusammen mit Amaurn scheinbar nichts getan hatte, als mit Cergorns Anhängern zu streiten – ganz zu schweigen von den anderen Mitgliedern des Schattenbundes und den Dorfbewohnern. Niemand wollte, dass die Takuru unter ihnen lebten, niemand wollte, das der Ak’Zahar am Leben blieb, um erforscht zu werden, und viele wollten nicht, dass man Cergorns Gedächtnis auslöschte. Am Ende war es allein Amaurns Willensstärke zu verdanken, dass sie alle drei Vorhaben durchsetzten, aber es hatte furchtbar viel Zank und Überzeugungsarbeit erfordert, bis die Leute einwilligten. Veldan fühlte sich zerschlagen und ausgelaugt von den heftigen Gefühlen, die hin und her gegangen waren, und das umso mehr als die Teilnehmer alle Meister der Gedankensprache waren. Sie war hierher gekommen, um das alles hinter sich zu lassen, und das Letzte, was sie wollte, war, dass sie jemand für eine Aufgabe anwarb.
»Verdammt richtig.« Kaz war wie immer an ihrer Seite. »Ehrlich, Boss, manchmal könnte ich dich ohrfeigen. Jemand sollte dir ein bisschen Vernunft einbläuen. In ein paar Stunden werden wir wieder nach Callisiora aufbrechen. Das war unsere letzte Gelegenheit, vor einem netten, prasselnden Feuer zu Abend zu essen, und anstatt das Beste daraus zu machen, stehen wir hier an einem feuchtkalten Abend draußen herum und sehen uns das hässliche Gesicht dieses blöden Ungeheuers an.« Er schlug ärgerlich mit dem Schwanz.
»Ach, sei still, Kaz.« Veldan machte eine unverschämte Geste. »Du weißt sehr gut, warum ich hierher wollte.« Ihre Augen wanderten zu dem Ak’Zahar, der sich noch in einem Behelfskäfig auf der anderen Seite der Gartenmauer befand. Er hockte in einer Ecke und betrachtete sie mit einem starren Blick, der Gnadenlosigkeit versprach, sollte sie je in seine Reichweite gelangen. Sie schauderte. Den ganzen Tag über hatte sie der Gedanke an die geplante Rückkehr nach Tiarond gequält. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass sie mitgehen würde, aber die Vorstellung, diesen reißenden Tieren noch einmal gegenüberzustehen, fand sie entsetzlich. Sie hatte sich zu dem gefangenen Ak’Zahar in der Hoffnung gezwungen, sich durch die Gegenwart ihres alten Feindes gegen die Angst vor seinesgleichen abhärten zu können. Es schien aber nicht zu wirken. An einem Abend wie diesem traten die rauen, steifen Narben an Arm und Schulter hervor und schmerzten, was sie umso deutlicher an ihre letzte Begegnung mit den Ak’Zahar erinnerte. Unwillkürlich
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