Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Leben immer große Bedeutung gehabt, und sie verdankte ihnen viel. So war es für sie das Schlimmste von allem gewesen, dass es in ihren Gesichtern keinerlei Zeichen des Wiedererkennens gab, als Cergorn und Syvilda an Bord des wartenden Navigatorschiffs gebracht wurden. Veldan wusste, die Auslöschung des Gedächtnisses war schmerzlos, und auch, dass bei beiden künstlich erzeugte, lückenlose Lebenserinnerungen zur Wirkung kämen, sobald das Schiff Gendival verlassen hatte. Aber Veldan fühlte sich, als wäre damit auch ein Teil ihrer eigenen Vergangenheit ausgelöscht. Und obwohl Cergorn und Syvilda weiterlebten und hoffentlich glücklich werden würden, für Veldan war es, als wären sie gestorben. Sie würde sie niemals wiedersehen.
Sie seufzte. »Schlimm daran ist auch, dass wir zuletzt so schlecht miteinander standen. Cergorn war mit mir und Elion überhaupt nicht einverstanden, als wir aus Callisiora zurückkamen, aber vielleicht hätten wir das mit der Zeit wieder flicken können. Doch als Amaurn auf der Bühne erschien, habe ich mich auf seine Seite gestellt…« Sie schüttelte den Kopf. »Da gab es so viel alten Hass. Selbst wenn es für Cergorn und Syvilda einen Weg gegeben hätte, um in Gendival zu bleiben, sie hätten mir nie verziehen, dass ich mich für Amaurn entschied, so wie er ihnen niemals seine Verurteilung und das Leben in der Verbannung vergeben hat und ihnen damit auch die Schuld am Tod meiner Mutter gibt.«
Plötzlich wollte Veldan nicht mehr darüber reden und wechselte ihrerseits den Gesprächsgegenstand. »Entschuldige, dass ich frage, ist Kalt dein richtiger Name?«
Er zuckte die Achseln. »Inzwischen ja. Grimm gab mir den Namen, als er mich zum Lehrling nahm. Zwar habe ich die Rotten wegen des Schattenbundes verlassen und bin nun kein Überbringer mehr, aber ich möchte ihn um seinetwillen behalten.«
Plötzlich machte der Ak’Zahar einen Sprung an die vordere Käfigwand. Er zischte und fauchte, streckte den knochigen Arm zwischen den Stäben durch und schlug mit den Krallen nach Kalt. Veldan sprang fluchend rückwärts, dann grinste sie ihn verlegen an. »Eine hartnäckige Angewohnheit. Auch wenn er hinter Gittern sitzt, werde ich mich wohl nie daran gewöhnen, einen in meiner Nähe zu haben.«
»So geht es den meisten«, meinte Kalt. »Amaurn musste sehr in sie dringen, damit die Wissenshüter ihr Einverständnis gaben, und die Dörfler gebärdeten sich fast noch schlimmer.«
»Amaurn kann so etwas gut. Es brauchte viel Überredung, doch dann ließen sie sich umstimmen.«
»Nur weil er ihnen kaum eine Wahl ließ«, hielt Kalt ihr entgegen. »Außer dieser Hand voll Forscher wollte es eigentlich niemand.«
»Vielleicht siehst du das ein bisschen zu schwarz«, erwiderte Veldan. »Es ist nur natürlich, dass den Leuten nicht wohl dabei ist. Mir geht es genauso, obwohl ich weiß, dass er sicher eingesperrt ist. Aber ich gebe dir darin Recht, dass Wissen eine wertvolle Waffe ist. Als Amaurn ihnen das entgegenhielt, lenkten die meisten ein, wenn auch widerstrebend.«
»Ich bin froh, dass er diese Auffassung vertreten hat und nicht ich es zu tun brauchte«, sagte Kalt. »Sonst hätten sie Hackfleisch aus mir gemacht, besonders dieser Afanc. Er hat mich zu Tode erschreckt. Wir haben einander nicht auf die beste Art kennen gelernt, als er sich so bedrohlich aus dem Wasser aufbäumte, und unsere zweite Begegnung heute war wohl auch nicht besser. Seine Einwände gegen den Ak’Zahar brachte er ungestüm vor, gelinde gesagt, und ich weiß genau, dass er mir übel nimmt, dass ich das Biest überhaupt mitgebracht habe.«
»Bastiars Einwände richteten sich mehr gegen Amaurns Anführerschaft als gegen dich und deinen Ak’Zahar«, meinte Veldan. »Er gehört zu Cergorns treuesten Anhängern.« Sie musste sich schütteln. »Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen wie in dem Augenblick, als Cergorns Verbannung bekannt gegeben wurde, und das wo er im Grunde anerkennen müsste, dass diese Strafe milder ist als eine Hinrichtung.«
»Ist es immer so, wenn der Archimandrit wechselt?«, fragte Kalt. »Es kommt mir ein wenig drastisch vor.«
»Nein.« Veldan schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, verläuft der Übergang von einem Anführer zum nächsten gewöhnlich ganz glatt. Aber du schließt dich dem Schattenbund in stürmischen Zeiten an, mein Freund. Teilweise liegt das wohl am Zusammenbrechen der Schleierwand und der damit verbundenen Nöte. Mit einem Mal waren die alten Auffassungen,
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