Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
Robe, wenn sie bald das höchste Zeichen der Macht in ganz Callisiora besitzen würde?
Galveron nahm eine Lampe und ging voraus durch die hintere Tür des Krankenzimmers in den Gang, der in den Berg führte und den Tempel mit den weiter oben gelegenen Vorratshöhlen verband. Als sie bei dem Platz angekommen waren, wo sie am Vortag miteinander gesprochen hatten, stellte er die Lampe auf einem Sims ab. »Aliana hat Recht gehabt«, sagte er. »Der Ring befand sich just dort, wo sie ihn zu finden gehofft hatte. Sie war sehr tapfer …«
Aber Gilarra wollte von Aliana nichts hören. »Rasch!«, sagte sie. »Wo hast du ihn? Gib ihn mir!«
Ein Schatten stahl sich auf Galverons Gesicht. »Wie du wünschst.« Er sprach so kalt, dass Gilarra, gerade noch völlig vertieft, bemerkte, wie undankbar sie erscheinen musste. »Ach, Galveron, es tut mir Leid. Ich bin dir dankbar, wirklich. Es ist nur, dass ich um den Ring so besorgt war. Er ist für uns alle wichtig, nicht nur für mich.«
Sein Gesichtsausdruck wurde ein wenig milder. »Ich verstehe – oder wenigstens versuche ich es«, sagte er. »Aber bitte, Gilarra, lass nicht zu, dass deine eigenen Belange dich für die Empfindungen und Nöte anderer blind machen.« Er fing an, in seinen Taschen zu graben. »Vielleicht wirst du, wenn du den Ring hast …« Seine Stimme erstarb, und seine Miene veränderte sich. Gilarra sah mit an, wie sie innerhalb eines Augenblicks von Beunruhigung in Angst überging, und die Angst wirkte ansteckend. Ihr war mit einem Mal kalt und sie verfolgte angespannt, wie er fieberhaft eine Tasche nach der anderen durchsuchte, ihren Inhalt hervorholte und auf den Sims warf. Ein paar Münzen, eine Zunderschachtel, einen kleinen Wetzstein, einen großen Eisenschlüssel – mehr war nicht vorhanden. Der Blick, den er ihr darauf zuwandte, sprach von blankem Entsetzen. »Ich habe ihn gehabt. Ich schwöre, dass ich ihn hatte! Er steckte hier in dieser Tasche, eingewickelt in …« Plötzlich entspannte sich sein Gesicht, und er schlug sich an die Stirn. »Natürlich! Wie dumm von mir. Ich habe Aliana den Ring gegeben. Sie sollte ihn dir zurückbringen, während ich nach dem Kind suchen wollte, das wir gehört haben, aber sie wollte nicht …«
»Warum überrascht mich das nicht?«, murmelte Gilarra säuerlich. Aber er hörte sie nicht.
»Und wie das so ist, wenn viel zusammenkommt, habe ich glatt vergessen, ihn mir wiedergeben zu lassen«, sagte er gerade. »Verzeih bitte, Gilarra. Ich habe dir bestimmt einen gehörigen Schreck eingejagt.«
»Du ahnst nicht wie gehörig«, murmelte sie. »Komm«, sagte sie, noch begieriger darauf, den Ring endlich in die Hand zu bekommen. »Schnell! Lass uns gehen und dieses schreckliche Mädchen suchen, bevor -«
»Bevor was?« Galveron blickte sie auf eine eigentümliche Art an, die ihr zunehmend Unbehagen bereitete.
Ach, sei’s drum! Er muss es früher oder später ohnehin erfahren. Und überhaupt, wer ist hier der Herrscher?
Die Hierarchin holte tief Luft. »Bevor sie herausfindet, dass ich ihren Bruder eingesperrt habe.«
Galveron sah sie verblüfft an, dann wurde er zornig – ob auf Alestan oder auf sie, konnte Gilarra nicht erkennen. »Du hast ihn eingesperrt? Warum in Myrials Namen?«
»Er wurde mit gestohlenen Vorräten angetroffen.« Sie wand sich unter diesem freimütigen, blauen Blick und betete, dass er nicht die Lüge hinter ihren Worten aufdeckte. »Er hat es natürlich abgestritten«, fuhr sie rasch fort, »aber die Beweise waren eindeutig.«
»Und was ist mit den anderen geschehen?« Der Hauptmann sprach bedrohlich ruhig.
»Ich habe sie voneinander getrennt und ihnen Arbeiten aufgetragen.« Gilarra merkte, dass sie plapperte, und zwang sich, tief durchzuatmen. »Es schien mir die beste Möglichkeit, um ihnen Schwierigkeiten zu ersparen.«
»Arme Aliana.« Galveron war schon auf dem Weg. »Sie hat es verdient, das aus deinem Mund zu erfahren und nicht durch den Tempeltratsch. Vielleicht war es doch ein Missverständnis«, fügte er hoffnungsvoll hinzu. »Ich werde die Sache sofort untersuchen, verehrte Dame – gleich nachdem wir dir den Ring übergeben haben.«
Als sie wieder im Krankenzimmer ankamen, war von der Diebin nichts zu sehen, darum fragte Galveron die Heilerin, ob sie sie gesehen habe. »Zu Anfang ist sie hier gewesen«, sagte Kaita, »aber ich habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Ich nehme an, sie ist gegangen, um sich etwas zum Frühstück zu holen, Galveron, und ich
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