Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
als nur ein wenig sprachlos machte, schmunzelte in sich hinein.
Nun ist Kalt doch endlich ein echter Überbringer geworden, und es ist Zeit, dass ich ihn als solchen behandle. Wie konnte ich überhaupt erwägen, ihn hier zu lassen? Er hat das Zeug zu einem ausgezeichneten Wissenshüter. Mag Amaurn meinetwegen verärgert sein oder nicht, ein Narr ist er jedenfalls nicht. Da der Schattenbund gerade jetzt so wenige Mitglieder hat, sollte er jede Gelegenheit beim Schopf packen, um frisches Blut anzuwerben.
»Du hast vollkommen Recht«, sagte er zu seinem Gehilfen, »und ich entschuldige mich dafür. Seit dem ersten Tag, als du zu mir kamst, war ich gezwungen, Dinge vor dir geheim zu halten, aber jetzt ist es Zeit, das zu ändern.« Fast fing er an, Kalt vom Schattenbund zu erzählen, doch dann wurde ihm bewusst, dass er nicht die Zeit hätte, um alles recht zu erklären, und er überlegte es sich anders. »Kalt, mein Junge, was würdest du davon halten, das Land der Rotten zu verlassen? Ich habe nicht die Zeit, um jetzt etwas zu erklären, aber ich kann dir unterwegs alles sagen, was du wissen musst. Würdest du gern mit mir auf Reisen gehen?«
»Auf Reisen? Wohin?«
Grimm ließ das Gesicht seines Gehilfen keinen Moment lang aus den Augen. »Hinter die Schleierwand«, antwortete er ruhig.
Kalt fiel das Kinn herab. »Hinter …« Seine Stimme zitterte. Er holte tief Luft und gewann sichtlich seine Fassung wieder. »Ich hab’s gewusst. Ich habe immer gewusst, dass es dahinter etwas gibt! Und diese furchtbaren Bestien, die die Tiarondianer niedergemetzelt haben, müssen auch woanders hergekommen sein …«
Grimm lächelte gequält.
Seit die Grenzen schwächer werden, denken immer mehr gewöhnliche Leute darüber nach und kommen zu dem Schluss, dass es dahinter etwas geben muss. Amaurn hat Recht gehabt, Cergorn. Wie sehr du dich auch bemüht hast, du hättest die Beschaffenheit unserer Welt nicht mehr länger geheim halten können.
»Wann brechen wir auf?« Kalt war zu aufgeregt, um mit dem nachdenklichen Grimm Geduld zu haben, und seine Frage brachte den Überbringer mit einem Ruck zum unmittelbar Notwendigen zurück. Von Aufbrechen zu reden war gut und schön, wenn es nicht mehr bedeutete als einen Spaziergang zum See und zurück. Angesichts der gefährlichen Lage würde Arcan seine Überbringer nicht einfach gehen lassen, und wenn sie noch so gute Gründe hatten. Ihre Flucht – denn darauf lief es hinaus – würde mit großer Heimlichkeit vonstatten gehen müssen, und das zu einer Zeit, da die Rotten äußerst wachsam waren. Zu alledem hatten sie einen ängstlichen, widerstrebenden Jungen mitzunehmen, und wenn man sie erwischte, würde Scall ihr Schicksal teilen.
Nicht dass Arcan uns etwas antäte. Er braucht uns zu sehr. Aber er würde sehr zornig sein, und aus gutem Grund. Man würde uns einsperren, nehme ich an, mehr nicht. Nein, die größte Gefahr besteht darin, dass man uns in der Dunkelheit irrtümlich für die Reiter einer anderen Sippe hält. Es sind immer ein paar berittene Krieger draußen, die das Dorf und das Vieh bewachen, und höchstwahrscheinlich würden sie uns niederstechen, ehe wir etwas erklären könnten.
Offenbar hatte auch Kalt gerade an Arcan gedacht. Seine begeisterte Miene war inzwischen von einem Stirnrunzeln überschattet. »Grimm, ich möchte wahrhaftig nichts lieber tun, als mit dir auf Reisen zu gehen, aber … Meinst du wirklich, wir tun Recht daran, Arcan und seine Sippe allein zu lassen, wenn sie einer solchen Gefahr entgegentreten müssen? Sicher brauchen sie unser Wissen mehr denn je.«
Kalt, ich bin so stolz auf dich. Wenn ich die ganze Welt abgesucht hätte, ich hätte keinen besseren Lehrling finden können.
»Du hast natürlich Recht«, sagte Grimm laut. »Es ist hinterhältig und verantwortungslos und vollkommen unrecht von uns, die Sippe jetzt zu verlassen. Aber ich fürchte, es geht nicht anders, Junge. Ich habe noch ein anderes Leben, als das, was du kennst, und andere, stärkere Verpflichtungen. Wenn ich Scalls Funde zu meinen Meistern bringen kann, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir nicht nur mit den fliegenden Dämonen fertig werden, sondern auch mit dem unaufhörlichen Regen, der unser Land lahmlegt. Und Callisiora steht damit nicht allein, Kalt. Es gibt außer unserem viele andere Reiche, die großes Elend und Umwälzungen erleiden. Mein wahres Volk muss die ganzeWelt berücksichtigen, nicht das Schicksal eines einzelnen Stammes in einem kleinen
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