Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
hatte erfahren, was es heißt, Sorge zu tragen – und es war ein zweischneidiges Schwert.
Würde ein einziger meiner Untertanen sein Leben für mich hingegeben haben, wie dieses kleine Geschöpf es heute getan hat? Ich weiß sehr wohl, dass sie das nicht getan hätten. Aber ich war von ihnen so abgeschnitten. Warum sollte es sie kümmern, was mit mir geschieht?
Aber hier kümmerte es jemanden. Seine neue Freundin, das kleine Weibchen, schaute zu ihm auf. Sie schob sich unter seinen Arm und drückte sich an ihn. Zavahl umarmte sie. »Myrial sei Dank, dass es nicht dich getroffen hat, Kleine«, sagte er leise. »Wahrscheinlich kannst du mich nicht verstehen, aber ich bin froh, dass dir nichts geschehen ist.«
In dem Moment berührte ihn jemand an der Schulter. »Komm«, sagte Toulac leicht ruppig. »Sie kommen mit einem Boot. Wir haben dich im Nu bei deiner kleinen Dame.«
Zavahl ließ sich nur widerstrebend fortziehen. »Sollten wir ihn nicht begraben?«, fragte er.
»Seine Leute werden sich seiner annehmen, ehe wir abfahren«, sagte Toulac. »Mrainil sagt, dass sie ihre Toten immer auf See bestatten.«
»Hauptsache er hat eine angemessene Ruhestätte«, fand Zavahl. »Ihm und seinen Freunden verdanke ich mein Leben.«
»Und wir werden uns nicht um die Strandräuber bemühen«, fügte Toulac hinzu. »Soll das Aas für sich selbst sorgen. Wenigstens die Krabben haben heute einen Schmaus.«
Zusammen gingen sie hinunter zum Boot, das inzwischen dicht heran gekommen war. Zavahl sah, dass es von einer fremden Frau mit dunklen, kurzen Haaren und, zu seiner Erleichterung, von Elion gerudert wurde. Nach all diesen Ereignissen tat es gut, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Es war nicht einfach, von den schlüpfrigen Steinen in das leichte, rollende Boot zu steigen, und Zavahl entging nur knapp einem Sturz ins Wasser, aber die fremde Frau bekam sein Hemd zu fassen und zog mit einem solchen Ruck, dass er sich plötzlich als Knäuel am Boden des Bootes wiederfand, wo er sich benommen fragte, wie er dorthin gelangt war. Zu seiner Überraschung hatte ihn seine kleine Freundin ins Wasser begleitet, war hinter ihm hineingesprungen, um ihn nur ja nicht aus den Augen zu lassen.
Elion grinste ihn an. »Ich hoffe, Ailie wird nicht eifersüchtig.«
Zavahl wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er war es nicht gewöhnt, so geneckt zu werden – wer würde es schließlich wagen, den Hierarchen von Callisiora aufzuziehen? – aber wenn es auch ein wenig peinlich war, gab es ihm ein warmes Gefühl der Verbundenheit, und das gefiel ihm.
Er und Toulac ließen sich im Heck nieder, während Elion und die Frau, die ihm als Meglyn vorgestellt wurde, an die Ruder gingen. Zavahl warf einen Blick zurück auf den Strand, wo so viel geschehen war. Die Dobarchu waren jetzt fort, brachten ihren Toten an seine letzte Ruhestätte. Nahe beim Abhang bezeichnete ein mattes Glühen die Stelle, wo er und Toulac so hart gearbeitet hatten, um sich einen Unterschlupf zu schaffen. Zwar war er froh, nun fortzukommen, aber trotzdem gab es ihm einen Stich, was er da zurücklassen musste. Die Hütte würde für immer in seinem Gedächtnis verankert sein als das Erste, was er mit eigenen Händen geschaffen hatte.
Aber ein richtiges Bett wäre auch nicht schlecht. Er zitterte vor Erschöpfung, vor Entsetzen über den Überfall, vor Kälte. In die leichte Wunde an den Rippen war Salzwasser gekommen, und nun brannte und stach sie. Er fühlte sich unendlich erleichtert, als sie das rettende Schiff erreichten. Nachdem er seine Dobarchu-Freundin, die offenbar entschlossen war, ihn nie mehr zu verlassen, an Deck gehoben hatte, kletterte er selbst mühevoll an Bord, und da ging seine Erleichterung schließlich so tief, dass er fast Weinen musste.
Zum ersten Mal in seinem Leben befand sich Zavahl unter Freunden. Ailie kam auf ihn zugestürzt und umarmte ihn. Im Überschwang des Augenblicks schloss er selbst Veldan in seine Arme. Sie erstarrte vor Verblüffung, doch dann erwiderte sie die Geste und ihr Lächeln brachte ihr Gesicht zum Leuchten. Zum ersten Mal sah er an ihrer Narbe vorbei und war erstaunt, welch außerordentliche Schönheit er vor sich hatte.
Lieber Myrial! Ich habe sie ein Ungeheuer genannt! Kein Wunder, dass sie mich verabscheut.
Dann schloss er wieder Ailie in die Arme, ihm war ganz leicht vor Glück, und wenn in diesem Moment jemand gekommen wäre und hätte angeboten, ihn wieder in sein altes Leben als Hierarch von Callisiora
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